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Interview Simone Rubino

„Rhythmus ist Bewegung“

Schlagwerker Simone Rubino über das Archaische in der Musik, Frust im Orchester und den Sexappeal seines Instruments.

vonChristian Schmidt,

Schon als Kind schlug Simone Rubino auf alles ein, was aus Geräuschen Musik machte. Seine Mutter, eine italienische Klarinettistin, kaufte ihm ein Schlagzeug: die Liebe seines Lebens. Seitdem Rubino 2014 den ARD-Musik­wettbewerb gewann, gehört der heute 25-Jährige neben Martin Grubinger weltweit zu den ganz großen Soloschlagwerkern, gibt regelmäßig neue Werke in Auftrag und übernimmt diesen Herbst eine Professur. Ein Gespräch über die Nähe von Rhythmus und Leben, die Ursprünge der Popularität des Schlagwerks und eine Traktorbremse als Instrument.

Haben Sie heute früh schon irgendwas geschlagen?

Simone Rubino: Leider nicht, nur abgebaut. Da muss ich immer dabei sein, weil nur ich weiß, welche Schlägel wohin gehören. Schlagzeug spielen ist immer mit viel Aufwand verbunden.

Manche Solisten scheinen mit ihren Instrumenten verheiratet zu sein. Bei Ihrem üppigen Schlagwerk wäre das ja Polygamie.

Rubino: Ich sehe es eher als eine große Familie, in die alles aufgenommen wird, was ich durch neue Kompositionen entdecke. Wich­tiger als das Werkzeug ist aber die Musik als Kunst.

Die haben Sie früh entdeckt. Wie sind Sie zum Schlagwerk gekommen?

Rubino: Schon als sehr kleines Kind wollte ich immer überall klopfen. Daraus entwickelte sich eine besondere Affinität zum Rhythmus. Den hat meine Mutter erst mit Bodypercussion gefördert und mir irgendwann ein kleines Schlagzeug gekauft.

Mit elf Jahren wechselten Sie schon ans Konservatorium. Waren Sie frühreif?

Rubino: Bestimmt. Ich bin dankbar, dass ich schon mit zehn, zwölf Jahren ein Ziel hatte. Natürlich ist es nicht immer leicht, in die Staatsoper zur Probe zu gehen, wenn die Freunde in den Pool springen, aber es hat mir immer Spaß gemacht hat.

Zuerst spielten Sie im Orchester. Ist es nicht frustrierend, auf den einen Beckenschlag am Schluss einer Oper oder Sinfonie zu warten?

Rubino: Die Motivation ist immer die Musik. Auch wenn man lange physisch nicht beteiligt ist, erlebt man das Stück mit. Ich merkte trotzdem schon nach einem Jahr, dass ich nicht lange sitzen kann. Ein Orchester besteht ja aus vielen Individuen, die sich unterordnen müssen. Da habe ich nicht hineingepasst. Andererseits höre ich sehr gern dem Orchester zu, wenn ich davor als Solist stehe.

Mit achtzehn eine gut bezahlte Stelle aufzugeben, war trotzdem mutig.

Rubino: Ich habe nichts verloren, sondern künstlerische Freiheit gewonnen. Vielleicht wäre ich ohne diese Erfahrung kein Solist geworden. Sie half, meinen Weg zu finden.

Drei Jahre später gewannen Sie den ARD-Wettbewerb. Konzerte mit Schlagwerkern waren damals noch unüblich, viele Orchester haben bis heute damit keine Erfahrung.

Rubino: Deswegen haben nur wenige Preisträger eine Solokarriere gemacht. Für mich war das nur ein Start – ein Aufbruch, kein Ziel. Ich glaube, das ist das Geheimnis von Erfolg: sich nie am Ende, sondern immer am Anfang einer Entwicklung zu sehen.

Was ist Ihre Motivation?

Rubino: Ich möchte klassische Musik an die große Masse bringen – und zwar eher für 100 000 Menschen als in einem klassischen Konzertsaal. Dafür muss man kein Rockstar sein oder Crossover spielen. Mein Instrument kann das schaffen.

Liegt das am Sexappeal, Sinnlichkeit und Sport zu einen?

Rubino: Absolut. Aber das kann ein schweißüberströmt kaskadierender Pianist auch.

Simone Rubino
Simone Rubino

Hat die Popmusik das Schlagwerk als Soloinstrument in der Klassik erst hoffähig gemacht oder eher behindert?

Rubino: Schwierige Frage. Vermutlich gibt es nicht die eine Antwort. Ich denke, sie hat eher eine förderliche Rolle gespielt.

Als vermutlich ältestes Instrument der Welt korrespondiert das Schlagwerk mit seinem archaischen Charakter auch direkt mit dem menschlichen Biorhythmus, was sich die Militärmusik seit jeher zunutze macht.

Rubino: In anderen Ländern ist die Popularität deswegen noch viel höher als bei uns. Seit Evelyn Glennie, Peter Sadlo und Martin Grubinger das Schlagwerk in der Klassik emanzipiert haben, sind auch immer mehr moderne Stücke entstanden, die es für Soloschlagzeug sowieso erst seit der zeitgenössischen Musik gibt. Inzwischen existiert eine Repertoire­lite­ratur – nicht zu groß, aber sie wächst.

Wie wichtig sind Ihnen Kompositionsaufträge?

Rubino: Je mehr Kollegen neue Musik bestellen, desto reicher wird die Literatur. Die Zusammenarbeit mit den Komponisten ist meistens sehr fruchtbar. Aber ich beauftrage nicht zum Selbstzweck, sondern immer aus der Motivation heraus, Menschen mit Musik zu erreichen. Deshalb mache ich mir sehr viele Gedanken darüber, welche Stücke ich zusammen für welchen Anlass programmiere.

Torpediert so eine exakte Partitur nicht die Kunst der Improvisation?

Rubino: Das sind zwei verschiedene Dinge, was nicht heißt, dass man sie nicht integrieren kann. Schon bei Mozart haben Solisten die Kadenzen improvisiert, das gibt es auch heute. Man sollte beides kennen – Improvisation schult die künstle­rische Freiheit und den musikalischen Instinkt. Die Möglichkeit, rhythmische und melodische Schlaginstrumente verwenden zu können, gibt uns umso mehr Freiheiten.

Welches ist Ihnen dabei das liebste?

Rubino: Alles, was eine Tastatur hat, also Vibra- und Marimbafon. Aber ich kann mir auch kein Konzert ohne die Trommel vorstellen.

Wie wichtig ist der Showeffekt bei spektakulären Instrumenten?

Rubino: Kochtöpfe verwende ich beispielsweise nur dann, wenn ich glaube, dass sie einen spezifischen und interessanten Klang haben, den man anders nicht erzeugen kann. Fasziniert war ich zuletzt von einer Traktorbremse, die ich bei einem Freund gefunden habe. Das Teil ist sehr hässlich, aber klanglich sehr überraschend. Jetzt habe ich sieben unterschiedliche Größen, sie wurden schon in ein neues Stück integriert, das ich in der Elbphilharmonie uraufgeführt habe.

Ist dabei manchmal der sportliche Ehrgeiz größer als die musikalische Botschaft?

Rubino: Das sieht jeder anders. Für mich ist Musik kein Sport. Ich möchte mit dem Schlagzeug singen. Das können Sie sogar mit einer Trommel, bei der es darauf ankommt, wie sie zum Klingen gebracht wird.

Was bedeutet der Rhythmus für einen Menschen?

Rubino: Rhythmus ist Bewegung. Ohne Bewegung gibt es kein Leben. So ist es auch in der Musik: Ohne Rhythmus haben die Töne keine Form. Energetisch kann die Musik auch ohne Melodie sein, ohne Rhythmus dagegen hat eine Melodie keine Kraft. Nicht umsonst hatte die Epoche, in der man nur atmosphärische Klänge komponiert und erzeugt hat, wenig Erfolg. Andersherum kann Rhythmus ohne Töne sehr viel Energie in sich tragen.

Darum fühlen sich die Menschen dem Schlagwerk nahe?

Rubino: Es reagiert auf den Puls des Spielers und beeinflusst den des Publikums. Das ist eine wechselseitige Beziehung. Wenn ich manchmal ein bisschen müde bin, experimentiere ich mit meinem Körper und probiere neue Bewegungen aus. Diese Aktivität lässt die Müdigkeit sofort verschwinden; deswegen ist es nur natürlich, dass etwa der Marschrhythmus die Soldaten zum Durchhalten motiviert hat.

Wie lange haben Sie selbst daran noch Spaß?

Rubino: Ich muss noch sehr viel lernen und entwickeln. Daran habe ich Spaß.

Und wohin geht im Moment Ihre Entwicklung?

Rubino: Im nächsten Jahr fange ich in Lausanne und Berlin an zu unterrichten – darauf freue ich mich sehr. Gerade was das Zusammenspiel von mentalem und physischem Training betrifft, möchte ich gern meine Erfahrungen weitergeben. Ich fühle mich verantwortlich für mein Instrument.

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