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Sitar-Spielerin Anoushka Shankar im Interview

„Wir können viel voneinander lernen“

Sitar-Spielerin Anoushka Shankar stört sich am Begriff „Weltmusik“ – obwohl ihr Vater Ravi nicht ganz unschuldig an dieser Wortschöpfung war

vonJakob Buhre,

Anoushka Shankar ist Instrumentalistin und Komponistin gleichermaßen. Die Musik auf ihren mittlerweile acht Studioalben hat sie selbst geschrieben, und auf der Bühne lebt ihre Musik von Improvisation. Zuletzt vertonte sie live den indischen Stummfilm „Shiraz“ und kombinierte in ihrem Ensemble westliche und indische Instrumente. Nun trifft sie im Konzert auf die Musiker der Dresdner Philharmonie.

Anoushka Shankar, wenn man sich ein Video anschaut, in dem Sie mit dem Geiger Joshua Bell spielen, fällt auf, dass sein Gesichtsausdruck sehr ernst und konzentriert ist, während Sie die meiste Zeit lächeln. Hat das mit den unterschiedlichen Musiktraditionen zu tun?

Anoushka Shankar: Nein, ich denke, das ist eher eine Frage der Persönlichkeit. Es gibt auch viele Sitar-Spieler, die ernst gucken. Ich selbst habe einfach sehr viel Freude an der Musik und dem Instrument, diese Freude zeige ich auf der Bühne. Es kann aber sein, dass indische Musiker tendenziell etwas expressiver sind – weil die Aufführung viel Kommunikation benötigt, viel Blickkontakt. Denn ein großer Teil der Musik ist improvisiert.

Was können hiesige Musiker von den indischen lernen?

Shankar: Ich denke, wir können viel voneinander lernen. Indische klassische Musik ist eine mündlich überlieferte Tradition, sie wird über das Gehör vermittelt, durch Erinnerung und Wiederholung. Das schult das musikalische Ohr. Und wenn ich mit einem indischen Ensemble an einem Stück arbeite, kann ich Änderungen viel schneller vornehmen als mit einem Orchester, wo erst die ganze Partitur geändert werden muss. Auf der anderen Seite können westliche klassische Musiker komplexe Musik relativ schnell gemeinsam einstudieren, auch wenn sie sich noch nie vorher getroffen haben – weil all die Kommunikation auf dem Papier stattfindet.

In Dresden führen Sie das Konzert Raga Mala für Sitar und Orchester auf, welches Ihr Vater komponiert hat. Ist der Solo-Part notiert?

Shankar: Es gibt eine Notation, aber die benutze ich nicht. Denn ich habe das Stück nicht von den Noten gelernt, sondern direkt von meinem Vater. In jedem Satz gibt es außerdem bestimmte Stellen, an denen der Solist improvisieren kann. Das ist für manche Ensembles etwas nervenaufreibend, wenn es nach der Improvisation darum geht, Solist und Orchester wieder zusammenzubringen. Manche Orchestermusiker werden da nervös, andere freuen sich über die Spannung, die dadurch entsteht.

Anoushka Shankar
Anoushka Shankar © Laura Lewis/DG

Was verbindet Sie mit klassischer Musik der westlichen Hemisphäre?

Shankar: Meine Mutter spielte Klavier, als Kind habe ich daher viel Bach, Chopin, Beethoven und Mozart gehört. Mit zehn Jahren habe ich auch selbst angefangen, Klavier zu lernen. Allerdings bekam ich ein paar Jahre später Probleme mit meinem Arm, da ich zwei Instrumente spielte, die ganz unterschiedliche Handbewegungen erfordern. Da musste ich mich entscheiden, und ich habe mit Klavier aufgehört. Durch meinen Vater hatte ich zu der Zeit schon sehr viel mit indischer Musik zu tun. Ich habe jeden Tag mit ihm Sitar gespielt, war mit ihm auf Tournee – dieser Lebensstil faszinierte mich schon damals.

Könnte man eigentlich Bach auf der Sitar spielen?

Shankar: Die Sitar ist nicht dafür gemacht, Akkorde zu spielen. Anders als bei der Gitarre sind die Bünde gewölbt, wodurch der Glissando-Klang entsteht. Man kann natürlich versuchen, eine Bach-Melodie ganz sauber auf der Sitar wiederzugeben, aber das würde vermutlich etwas blass klingen. Ich fände es interessanter, wenn man so eine Melodie reinterpretiert, also mit größerem Spielraum und auf eine Weise, die zum Instrument passt.

Beauftragen Sie heute Komponisten, auch mal ein Werk für die Sitar zu schreiben?

Shankar: Es gibt schon Komponisten, die interessiert daran sind, für mich zu schreiben, zum Beispiel Philip Glass, mit dem ich gut befreundet bin. Allerdings tue ich mich etwas schwer mit dieser Trennung zwischen Instrumentalist und Komponist. Meine kreative Seite möchte komponieren und diesen Part nicht an jemand anderen abgeben. Andererseits habe ich ja schon einige Alben mit meiner eigenen Musik veröffentlicht. Insofern bin ich auch neugierig, was andere Komponisten für mich schreiben können.

Ihr erstes Album erschien bereits vor 20 Jahren. Mussten Sie sich im Laufe Ihrer Karriere oft dagegen wehren, als „exotisch“ vermarktet zu werden?

Shankar: Nein. Wenn ich mir die frühen Alben anschaue – damals habe ich es als normal und verständlich empfunden, wenn ein Booklet einer indischen Musikerin mit einer Lotosblume verziert wird. Ich glaube auch, dass wir in der Klassik generell weniger das Problem haben, in ein Kostüm gepresst zu werden, das wir nicht sind. Das betrifft ja mehr den Mainstream. Von mir haben die Plattenfirmen jedenfalls nie Dinge verlangt, die nicht passend für mich waren.

Auffällig ist zumindest, dass die Musikindustrie lange Zeit sämtliche Musik, die nicht aus westlichen Ländern kam, als „Weltmusik“ vermarktet hat.

Shankar: Das stimmt. Ich kann das insofern nachvollziehen, als dass es für die Industrie eine Notwendigkeit gibt, Kategorien zu schaffen – auch wenn viele Künstler es nicht mögen, in so eine gesteckt zu werden. Andererseits ist es natürlich ein sehr west-zentriertes Konzept, wenn man all die Musik, die nicht aus dem Westen kommt, einfach „Weltmusik“ nennt.

Anoushka Shankar
Anoushka Shankar © Laura Lewis/DG

Ist das auch eine Folge mangelnden Respekts gegenüber anderen Kulturen?

Shankar: Nein, es ist eher ein fehlendes Verständnis, wenn man Musik und Klangformen aus all diesen verschiedenen Kulturen und Zeiten in einer einzigen Kategorie zusammenfasst. Warum nennt man es nicht „Klassische indische Musik“ oder „Zeitgenössische Aborigines-Musik“? Mit Bezeichnungen, die reflektieren, was die Musik tatsächlich ist, habe ich kein Problem. Aber dass alles nicht-westliche „das Andere“ ist? Damit bin ich übrigens aufgewachsen: Ich musste in meinem Leben oft Formulare ausfüllen, wo es für mich nur dieses Kästchen „andere“ gab.

Wie dachte Ihr Vater über diese Bezeichnungen?

Shankar: Er wiederum war jemand, der den Begriff „Weltmusik“ geprägt hat – weil er gegen die Bezeichnung „Ethnic Music“ gekämpft hat. So wurde seine Musik ja bezeichnet, als er begann, im Westen Konzerte zu geben. Das empfand er als beleidigend, also brachte er den Begriff „Weltmusik“ ein. Heute sind wir fünfzig, sechzig Jahre weiter, wir wollen jetzt mehr als nur eine Kategorie. Zu seiner Zeit jedoch gab es ja kaum nicht-westliche Musik, die im Westen präsent war. Insofern hatte er keine Bedenken, dass es nur eine Kategorie ist, er wünschte sich einfach nur einen respektvollen Umgang.

Wie populär ist eigentlich westliche klassische Musik in Indien?

Shankar: Um ehrlich zu sein, nicht besonders populär. Vereinzelt gibt es Konzerte, zum Beispiel wenn Zubin Mehta dirigiert, oder wenn der British Council ein Kammerorchester auf Tournee schickt. In manchen Gemeinden und Familien kann es hier und da eine Klassik-Tradition geben, aber in der Breite gibt es kaum Zugang zur westlichen Klassik, auch nicht zur Lehre.

Also hat westliche klassische Musik in Indien etwa den Anteil wie hierzulande indische Musik?

Shankar: Vermutlich ist der Anteil noch geringer. Denn wenn ich mir die Großstädte in Deutschland anschaue: Hier gibt es schon eine Präsenz. Es gibt Lehrer, es gibt Ensembles die indische Musik aufführen, es gibt ein Publikum dafür. Ich kenne viele Menschen in Deutschland, die sehr in der indischen Musik-Szene involviert sind. Und ich trete jedes Jahr in Deutschland auf.

Woran erkennt man einen guten Sitar-Spieler bzw. eine gute Sitar-Spielerin?

Shankar: Ich denke, das hat gar nicht so viel damit zu tun, ob jemand die Tradition kennt oder nicht. Es kann sein, dass jemand verblüffend schnell auf der Sitar spielt, er dich aber nichts fühlen lässt. Es geht darum, ob die Musik zu deinem Herzen spricht. Wenn das passiert, ist es ein guter Musiker.

Anoushka Shankar und Joshua Bell:

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