Eine Hotelsuite in Berlin. Auf der einen Seite des Tisches sitzt die argentinische Cellistin Sol Gabetta, ihr gegenüber die französische Pianistin Hélène Grimaud. Man spürt sofort: Diese beiden Künstlerinnen sind grundverschieden. Die lebhafte Argentinierin, 31, redet leidenschaftlich gern, sie ist ein richtiger Sonnenschein. Grimaud, 42, wirkt eher nachdenklich. Dank ihrer Gegensätzlichkeit ergänzen die beiden sich nicht nur musikalisch, sondern auch im Gespräch auf angenehme Weise.
Frau Grimaud, Frau Gabetta, dass Sie jetzt miteinander eine CD eingespielt haben, halten bestimmt viele Leute für eine ausgeklügelte Marketingstrategie…
Hélène Grimaud: Nach dem Motto: Da hat jemand zwei erfolgreiche Musikerinnen zusammengebracht – die eine blond, die andere dunkelhaarig. So war das aber nicht. Die Initiative für dieses Projekt ist tatsächlich von uns ausgegangen. Wir mussten dafür kämpfen, denn wir sind ja bei verschiedenen Plattenfirmen unter Vertrag. Wahrscheinlich wäre es meinem Label lieber gewesen, wenn ich mich für einen Deutsche-Grammophon-Künstler entschieden hätte. Aber für mich kam einzig Sol als Partnerin infrage.
Warum?
Grimaud: Im Sommer 2011 traten wir zusammen beim Festival in Gstaad auf. Das war eine so intensive Erfahrung, dass wir es nicht dabei belassen wollten. Sol Gabetta: Allerdings hatten wir kein festes Konzept. Weder unser Konzert noch das Album oder die Tournee waren von vornherein geplant. Alles hat sich ganz natürlich entwickelt.
Heißt das, Sie wissen gar nicht, ob Sie Ihre Zusammenarbeit auch in Zukunft fortsetzen werden?
Gabetta: Wir lassen die Dinge einfach auf uns zukommen. Ich denke, nach unserer Tournee werden wir uns noch näher stehen. Daran könnten wir jederzeit anknüpfen und weiter gemeinsam musizieren.
Weil Sie dieselbe musikalische Sprache sprechen?
Grimaud: Ich würde uns eher als recht gegensätzlich bezeichnen. Genau deswegen inspirieren wir einander. Wir tragen uns gegenseitig in eine höhere Dimension. Gabetta: Manchmal habe ich das Gefühl, mit meinem Cello fliegen zu können. Hélène erdet mich. Am Flügel findet sie für jedes Stück eine klare Struktur – das gibt mir Sicherheit. Grimaud: Und Sol ist für mich wie Sauerstoff. Von ihr kriege ich Frische und neue Impulse.
Hatten Sie während der Aufnahmen trotzdem manchmal Meinungsverschiedenheiten?
Gabetta: Zwischen uns gab es keine Rivalität. Im Gegenteil: Von unseren unterschiedlichen Sichtweisen auf die Musik haben wir letztlich profitiert. Grimaud: Genau. Unsere Heterogenität hat eine gewisse Dynamik in unsere Interpretationen gebracht. Natürlich ließ sich ab und zu eine Diskussion nicht vermeiden. Wir haben dann halt mehrere Variationen ausprobiert. Fast immer waren wir uns am Schluss einig, welche es aufs Album schaffen würde.
Sie scheinen sich intensiv ausgetauscht zu haben. Haben Sie dabei voneinander gelernt?
Grimaud: Auf jeden Fall. Wenn wir miteinander gespielt haben, ist Sols Seele förmlich in meine DNA eingedrungen. Das war für mich ein magischer Moment, der mich als Pianistin reicher gemacht hat. Gabetta: Zumal mit unserem jüngsten Werk etwas völlig Neues geboren wurde. Keine von uns hatte sich jemals zuvor einem vergleichbaren Projekt gewidmet. Grimaud: Obwohl ich doch schon seit 27 Jahren aufnehme. Wahrscheinlich ist diese Premiere für mich noch spezieller als für dich. Gabetta: Warum hast du eigentlich so lange gewartet? Hat dich eine Duo-CD nie gereizt? Grimaud: Ich hatte in der Vergangenheit durchaus einige von mir hochgeschätzte Kammermusik-Kollegen. Bloß verspürte ich nie das Bedürfnis, mit ihnen irgendwelche Stücke aufzunehmen. Bei dir war das anders. Ich habe sofort gemerkt, dass zwischen uns die Chemie stimmt. Gabetta: Und zwar nicht nur musikalisch. Du hast so eine tolle Art, mit Menschen und Tieren umzugehen. Das mag ich. Meine Devise ist: Je mehr jemand gibt, desto mehr kriegt er auch zurück. Ich glaube, du denkst ganz ähnlich.
Das klingt, als seien Sie mittlerweile richtige Freundinnen geworden.
Grimaud: Ehrlich gesagt kenne ich Sol gar nicht so gut. Aber zwischen uns könnte sich sicherlich eine Freundschaft entwickeln. Wobei das für mich kein Muss ist. Ich habe das Gefühl, Sol allein durch unsere Zusammenarbeit sehr nah gekommen zu sein. Weil sich in ihrer Musik ihr wahres Ich widerspiegelt. Gabetta: In erster Linie geht es darum, dein Gegenüber zu spüren, zu respektieren. Ich habe zum Beispiel ein Problem mit Leuten, die nicht den nötigen Abstand wahren. Wenn sie mich bedrängen, gehe ich einen Schritt zurück. Und was tun sie? Sie rücken noch dichter an mich heran. Mit so taktlosen Zeitgenossen kann ich überhaupt nichts anfangen. Gott sei Dank ist Hélène das komplette Gegenteil. Grimaud: Danke. Ich bin jemand, der nicht gern eine große Gruppe um sich schart. Eins-zu-eins-Situationen ziehe ich vor. Sie sind nicht so oberflächlich, da findet ein intensiver Gedankenaustausch statt.
Viel Zeit für solche Gespräche haben Sie wahrscheinlich nicht. Als Pianistin sind Sie oft allein, oder?
Grimaud: Ja. Selbst wenn ich mich einem Dirigenten oder Kollegen besonders verbunden fühle, pflegen wir meist keinen regelmäßigen Kontakt. Wir schicken uns höchstens mal eine SMS, vielleicht sehen wir uns ein Jahr lang überhaupt nicht. Dass wir dann dort wieder anknüpfen können, wo wir aufgehört haben, zeichnet für mich eine echte Freundschaft aus.
Wie wichtig ist es bei Ihrem unsteten Leben, ein Zuhause zu haben?
Grimaud: Grundsätzlich ist es sehr wichtig. Andererseits: Es bringt nichts, zwischen zwei Konzerten für ein paar Tage nach Hause zu fahren. Das verursacht nur Stress, weil es einen aus der Konzentration herausreißt, aus dem Rhythmus des Musikmachens. Deshalb bleibe ich lieber im Hotel, wo alles für mich getan wird. Nach Weggis kehre ich erst zurück, wenn ich wirklich wieder im Alltag ankommen kann.
Sie wohnen beide in der Schweiz. Was verbindet Sie heute noch mit Ihren ursprünglichen Heimatländern?
Grimaud: Selbstverständlich bedeuten mir meine französischen Wurzeln viel. Aber mich zieht im Augenblick nichts zurück nach Frankreich. Richtig daheim habe ich mich eh bloß in South Salem im US-Bundesstaat New York gefühlt. Vermutlich lag das am Wolf Conservation Center, das ich dort mit aufbaute. Gabetta: Ich besitze ein Haus im Aargau und habe dort ein Festival etabliert. Außerdem ist mein Freund Schweizer. Deswegen betrachte ich die Schweiz als mein Zuhause. Grimaud: Könntest du wieder in Argentinien leben? Gabetta: Nein. Ich hätte Schwierigkeiten, mich dem dortigen Rhythmus anzupassen. Obwohl ich mir meine argentinische Seele stets bewahrt habe. Ihr verdanke ich es, dass ich meinen Emotionen ohne weiteres freien Lauf lassen kann. Für eine Musikerin ist das natürlich ein Geschenk.
Haben Sie nichts von der Schweizer Mentalität angenommen?
Gabetta: Doch, die Pünktlichkeit. Aber ich versuche nicht fieberhaft, eine typische Schweizerin zu werden. Jetzt bin ich sowieso gerade an einem Punkt, wo ich merke: Ich entwickele mich weiter. Darum sehe ich mich nach einer Wohnung in Berlin um. Grimaud: Auch ich halte nichts davon, sich krampfhaft auf einen Ort zu fixieren. Ein Zuhause kann ich mir überall erschaffen – solange ich Menschen um mich habe, die ich liebe. Und: Ich will der Natur möglichst nah sein. In einer Großstadt würde ich mich nicht unbedingt niederlassen. Gabetta: Solange man keine Kinder hat, ist man ja relativ frei. Erst mit einer eigenen Familie wird eine reguläre Basis unverzichtbar. Der Nachwuchs braucht einfach eine gewisse Stabilität. Da können die Eltern dann nicht mehr so sprunghaft sein und müssen ein Stück weit ihre Unabhängigkeit aufgeben.