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INTERVIEW Sol Gabetta

„Ich glaube, du bist süchtig“

Sol Gabettas Erfolgsformel: Nichts erwarten und doch Ziele vor Augen haben – ein Gespräch über Zufriedenheit und emotionale Stärke

vonFriederike Holm,

Ein Tag im Leben von Sol Gabetta scheint mehr als 24 Stunden zu haben. 130 Konzerte im Jahr, CD-Aufnahmen, Unterrichten an der Musik-Akademie in Basel, ihr Festival SOLsberg in der Schweiz, eine eigene Fernsehsendung – die argentinische Cellistin mit französisch-russischen Wurzeln ist schwer beschäftigt. Kein Wunder, dass es Monate dauert, einen Interviewtermin mit ihr zu bekommen. Doch selbst ein Konzert am Abend zuvor mit schwerer Grippe vermag sie nicht zu bremsen: Am nächsten Morgen sitzt die 33-Jährige gut gelaunt beim Frühstück und redet wie ein Wasserfall in fließendem Deutsch.

Mit Disziplin geht es auch mit Fieber auf die Bühne?

Auf jeden Fall. Ich habe diese Entscheidung als Künstler zwar immer selbst in der Hand, aber: Sobald ich stehen kann, fände ich alles andere, als dann auch zu spielen, respektlos.

Das Pensum, das Sie sich auferlegen, erstaunt – was ist Ihr Antrieb?

Auf jeden Fall nicht mein Ego! Mein Freund sagt manchmal: „Ich glaube, du bist süchtig“ – nach einer Art Energie, die bei der Zusammenarbeit mit bestimmten Musikern entsteht. Das stimmt: Ich arbeite nicht mit jedem – nicht mehr. Es gibt gewisse Dirigenten, Pianisten, Geiger, mit denen ich gerne zusammen spiele – Valery Gergiev gehört etwa dazu.

Was macht die Zusammenarbeit mit ihm aus?

Wir verstehen uns blind. Es ist schwer, diese Verbindung in Worte zu fassen … es ist das Gleiche, was wir beide versuchen in der Musik auszudrücken, was wir in der Musik suchen. Ich brauche auf der Bühne nicht mal zu ihm zu gucken, weil ich spüre, was er vorhat. Wenn ich solche Begegnungen nicht hätte, wäre das alles für mich eine banale Sache: Konzerte geben, mal gut, mal nicht so gut spielen, einen Job machen.

Würden Sie dann trotzdem bei diesem Beruf bleiben?

Das könnte ich nicht. Das würde mir nicht genügen, ich brauche diese Leidenschaft. Ich brauche Musiker um mich herum, die mit ihrer Musik etwas zum Ausdruck bringen wollen, die einem Idealismus folgen. Auch wenn ich die Konzerte, bei denen diese Energie entsteht, an einer Hand abzählen kann im Jahr.

Und dafür lohnen sich dann die 130 anderen Konzerte?

Auf jeden Fall. Sonst können Sie diese drei besonderen Konzerte nicht erleben. Manchmal sind es sogar nur kleine Momente, für die sich alles andere lohnt.

Was passiert in diesen Momenten?

Ich spüre, dass alles zu einer Einheit wird: das Orchester, der Dirigent, ich, der Raum, das Publikum. Es ist so selten, dass das passiert, aber es ist das, wonach ich ständig suche – das ist mein Antrieb. Es ist die Suche nach etwas, das ich nicht einmal erklären kann.

Wie gehen Sie bei dieser Suche vor? Wie wählen Sie zum Beispiel Ihre Projekte aus?

Ich habe das große Glück, dass mein Freund, mit dem ich seit zehn Jahren zusammen bin und der auch Cellist ist, mir viele Impulse gibt. Insofern hat er großen Anteil an meinem Erfolg. Viele Ideen entwickeln wir gemeinsam. Das ist eine große Bereicherung: Man sitzt zu Hause beim Essen, es kommt ein Gedanke, wir tauschen uns aus und es entsteht etwas. Ich bin sehr auf meine Proben und Konzerte fokussiert – er hat eher den Blick für das große Ganze. Gleichzeitig hat er als Musiker sehr viel Verständnis für das, was ich mache.

Gibt es auch mal Konkurrenz unter zwei Cellisten zu Hause?

Nein! (lacht) Er arbeitet inzwischen vor allem als Orchestermanager, zum Beispiel für das Kammerorchester Basel. Und für ihn wäre die Rolle als Solist der Horror. Aber er weiß, was das bedeutet, da vorne auf der Bühne zu sitzen. Er bereitet mir einen Teppich, auf dem ich fliegen kann! Wenn ich diese emotionale Unterstützung nicht hätte, könnte ich ein solches Leben nicht führen. Insofern fühle ich mich ausgeglichen, ich leide nicht darunter, ständig unterwegs oder alleine zu sein – was ich ohnehin selten bin, da mein Freund mich oft begleitet.

Das klingt, als sei er ein Schlüssel zu Ihrem Erfolg.

Auch wenn es komisch klingt: Ich habe den Erfolg nie wirklich gesucht. Aber ich hatte eine starke Förderung von Anfang an – durch meinen Lehrer Ivan Monighetti. Ich war zehn, als ich zu ihm kam, und er hat sich sehr schnell ein Bild davon gemacht, wo er mich hinbringen will, er hatte ein Ziel mit mir. Auch wenn man natürlich nicht ahnen kann, wie sich ein Kind entwickeln und ob es zu einer starken Persönlichkeit reifen wird. Auch meine Mutter war ein starker Antrieb für mich – zwischen diesen beiden Säulen habe ich mich sicher und bestärkt gefühlt. Aber Druck habe ich niemals empfunden.

Hatten Sie das Ziel Solistin zu werden immer vor Augen?

Nein, gar nicht. Als ich 22 war – ich wohnte noch bei meinen Eltern – habe ich mir gedacht: Du musst Dich für Probespiele bei Orchestern bewerben, Du musst Deine Brötchen verdienen. Ich habe nie gesagt: Ich werde Solistin! Ich glaube, das ist mein Glück, dass ich nie so hohe Erwartungen hatte. Die Dinge sind passiert – ich habe nie eine Agentur oder ein Plattenlabel gesucht. Es ist ein Glücksfall, dass alles so gekommen ist.

Glück? Oder steckt nicht auch eine Kämpfernatur in Ihnen?

Das liegt wohl in der Familie. Wir sind vier Geschwister, eine Schwester ist Autistin. Meine Eltern hatten sich um vieles zu kümmern – um überhaupt unser Überleben hier in Europa zu sichern, das war nicht einfach mit vier Kindern. Aber es hieß nie: Für Sol machen wir alles möglich.

Haben Sie am Anfang Ihres Weges schnell eine Vorstellung davon entwickelt, was Ihnen wichtig ist?

Nein, am Anfang war ich erst mal froh, aus Argentinien rauszukommen und all die Möglichkeiten in Europa zu entdecken – das war ein neues Universum. Dann war ich wegen der Sprache zunächst in Spanien, und bald darauf entdeckte ich, dass es in Deutschland ein noch viel größeres Klassikleben gibt. Als ich dann etwa meine ersten CDs produziert habe, hatte ich keine Ahnung: Man macht erst mal alles so mit. Und nach zwei CDs fragt man sich: Will ich das so? Wie viel kann ich mitentscheiden? Und dann ist der entscheidende Punkt: Wie stark ist man? Wie viel Bedeutung hat man, dass man auch mal etwas ablehnen kann? Man muss sehr sensibel mit all diesen Entscheidungen umgehen – eine CD muss sich eben auch verkaufen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Anpassung und Überzeugung.

Wie haben Sie für sich diesen Grat gefunden?

Ich hatte Glück: Genau an diesem entscheidenden Punkt am Anfang meiner Karriere habe ich meinen Freund kennen gelernt. Er hat mir neue Perspektiven eröffnet, durch ihn habe ich verstanden, wie dieser ganze Markt funktioniert. An diesem wichtigen Punkt habe ich dann für mich entschieden, in welche Richtung es gehen soll, was ich will und was nicht. Und so ist dann zum Beispiel meine Schostakowitsch-Aufnahme entstanden.

Ist das Repertoire Ihrer neuen CD auch Ihre Entscheidung gewesen?

Ja, das habe ich ausgewählt. Ich bin sehr angetan von der Musik von Ernest Bloch. Mit der Aufnahme von Schelomo fing es an, ich habe es schon 2006 das erste Mal mit Leonard Slatkin zusammen gespielt. Und dann hat es einige Monate gebraucht, um die richtigen Werke für eine sinnvolle Zusammenstellung zu finden. Mit dem Ergebnis bin ich jetzt ganz glücklich, es ist eine runde Sache. Für mich ist es wichtig, mich nicht im Repertoire zu begrenzen. Das Dvořák-Konzert kann ich immer noch irgendwann aufnehmen.

Abgesehen von der Dvořák-Aufnahme scheinen Sie als Solistin bereits alles erreicht zu haben …

In der Tat war gerade 2014 ein Jahr, in dem ich viele Ziele erreicht habe wie etwa mein Debüt bei den Berliner Philharmonikern. In den ersten zehn Jahren der Karriere muss man viel ausprobieren – jetzt beginnt für mich eine neue Phase, in der ich mir neue Ziele stecken werde. Im Moment fühle ich mich sehr ausgeglichen, ich fühle mich mental und körperlich stark. Aber wer weiß, wie es mir gehen wird, wenn meine Eltern einmal sterben. Ich bin dankbar, dass ich bisher von Kopf bis Fuß zufrieden bin. Ich weiß nicht, ob ich sonst die Kraft hätte für so ein Leben. Ich bin glücklich über das, was ich erreicht habe.

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