Seit Corona sei das Singen gefährlich, heißt es. Wie finden Sie das?
Sonya Yoncheva: Als ich das las, fand ich das zunächst wirklich komisch. Auch sprechen und atmen ist gefährlich. Mit dem Singen und dem Sprechen artikulieren wir uns als freie Menschen und Bürger. Wenn man das alles verbietet, dann verbietet man auch uns.
Die Stars von 2020, die Virologen, warnten besonders vor den plosiven Lauten wie P, T und K …
Yoncheva: Wirklich? Selbstverständlich ist jetzt die Zeit der Wissenschaftler und nicht der Künstler. Das ist auch normal in dieser gesundheitlichen Krise, bei der wir alle dazu beitragen müssen, dass sie vorübergeht. Natürlich finde auch ich es großartig, dass es mittlerweile eine Impfung und Medikamente gegen das Virus gibt.
Das Singen mit Maske – haben Sie es schon ausprobiert?
Yoncheva: Nein, nicht wirklich. Ich hatte Proben, auf denen wir alle eine Maske trugen. Aber damit kann man unmöglich singen. Und wenn man singt, wirkt alles sehr albern, sehr verkrampft. Man kann die Stimme nicht in die Weite projizieren, nicht atmen. Und der Umgang mit der Atmung ist die Basis des Singens.
Bei FFP2-Masken, so heißt es, würden sogar die Obertöne herausgefiltert, aber bei OP–Masken ginge es halbwegs …
Yoncheva: Aber wie soll man dann atmen? Die Stimme muss ja vibrieren können, die ganze Artikulation geht unter.
Die Oper Augsburg entwickelte eine Maske, mit der man tatsächlich singen kann.
Yoncheva: Mit einem Loch?
Nein. Von der Form her erinnert sie an den Schnabel eines Vogels; sie ist kompakt gearbeitet und lässt gleichzeitig genügend Abstand zum Mund. Das Kinn bleibt flexibel und beweglich.
Yoncheva: Das finde ich wirklich lustig. Und jetzt sehen wir alle aus wie Vögel? Ich finde aber den Ansatz der Oper sehr gut. Er zeigt: Wir wollen weiter auf der Bühne stehen und schöpferisch tätig sein. Und wir wollen uns nicht unterkriegen lassen. Wir brauchen einfach sehr viel Geduld.
Tosca an der Wiener Staatsoper im Februar, Rusalka an der Met im März, Il trovatore im Mai: Alles wurde bei Ihnen abgesagt. Was passiert mit einer Stimme im Lockdown? Was bedeutet ein Jahr Stillstand?
Yoncheva: Das ist eine sehr gute Frage. Man vergisst das Singen, man hat auch keine Inspiration, weil man sich auf nichts vorbereiten kann oder muss. Ich habe zwar eine innere Disziplin und Aufwärmungsrituale, die ich mir von klein auf antrainiert habe. Doch es ist etwas Anderes, zu Hause zu üben, als von null auf hundert auf der Bühne singen zu müssen. Doch ich hatte Glück, dass ich im letzten Sommer, als die Neuinfektionen wieder etwas weniger wurden, viele Konzerte hatte. Insofern konnte ich das Stimmniveau halten. Doch ich gebe zu, dass die Deadline sehr wichtig für uns Künstler ist. Wir brauchen ein Ziel, auf das wir hinarbeiten können.
Sie stammen aus Bulgarien, leben in der Schweiz, haben aber auch eine Wohnung in Berlin und sind mit einem Venezolaner verheiratet. Vier Länder. Wie groß sind die Unterschiede im Umgang mit der Pandemie?
Yoncheva: Ob arm oder reich, das Virus trifft uns alle. Die Angst, es zu bekommen, ist überall gleich. Alle haben den gleichen Wunsch: Hoffentlich ist es bald zu Ende und hoffentlich wird die Situation nicht noch schlechter. Ich glaube, wir haben derzeit alle das Gefühl, dass wir im gleichen Boot sitzen.
Wird es nach der Pandemie noch mehr Konkurrenzdruck als ohnehin geben, ein „Survival of the fittest“? Eine „Reinigung“ des auch „übersättigten“ Musikmarktes?
Yoncheva: Die Gefahr besteht, das muss man zugeben. Einige werden in ihre Berufe nicht zurückkehren können. Ich glaube auch, dass der Markt nicht für alle reicht. Den Konkurrenzdruck haben wir schon vor dem Virus gespürt. Vielleicht müssen die einen ihren Traum aufgeben, dafür kommen andere mit frischen Ideen. Das Ganze ist sehr fragil. Doch die Kunst selbst wird nicht untergehen, sie ist größer als wir. Die Kunst wird alles überleben, auch diesen Virus. Es wird ein Rebirth kommen, eine Renaissance der Musik. Deshalb habe ich meine neue CD mit Werken von Monteverdi, Dowland, Gibbons und anderen auch so genannt. Vielleicht wird nicht alles so wie vorher, aber dies muss nicht unbedingt schlecht sein. Wir müssen uns tatsächlich neu positionieren, neu erfinden, wenn man so will. Auch für mich gilt das.
Hat sich Ihr Blick auf das Leben, auf Ihre Karriere verändert?
Yoncheva: Früher war ich in einer Art Matrix, in einem Teufelskreis: von einer Bühne zur nächsten, in China, in Japan, dann zurück nach Europa, zwischendurch in Amerika. Ein absolut festgezurrter Termin-Kalender, immer gleich. Nichts durfte dazwischenkommen. Dazu habe ich noch zwei kleine Kinder und einen Mann, der als Dirigent auch unterwegs ist. Diese Routine kann gefährlich werden. Man ist eigentlich zutiefst erschöpft und macht dennoch so weiter. Zunächst war ich erleichtert, dass fast alles auf einen Schlag aufhörte. Ich konnte mich endlich um meine Kinder kümmern. Doch dann kam der Moment, wo ich dachte, jetzt muss ich etwas tun.
Sie gründeten mit SY11 Events eine Produktionsgesellschaft. Die Buchstaben stehen für Sonya Yoncheva. Und die 11?
Yoncheva: Ich bin keine Numerologin, aber die 1 symbolisiert für mich die erste Stelle, und mein Name hat in der bulgarischen Schreibweise elf Buchstaben. Seit sehr langer Zeit wollte ich im Theatrum Romanum meiner Geburtsstadt Plovdiv ein Konzert organisieren. Ich fand nie die Gelegenheit und nie die Zeit. Zudem wollte ich nicht in meine Heimat zurückkehren als jemand, der im Westen Erfolg hat. Ich wollte es familiärer.
Deshalb traten Sie im August 2020 an der Seite Ihres Bruders Marin Yonchev auf, der in Bulgarien ein sehr bekannter Popstar ist.
Yoncheva: Wir hatten großen Erfolg und ich plane jetzt das zweite Konzert für August 2021, diesmal in Sofia. Ich habe Gefallen daran gefunden, als Veranstalterin zu arbeiten. Endlich kann ich bestimmen, wann wir anfangen, welche Musiker, welches Orchester wir einladen. Das ist Freiheit. Endlich muss ich nun nicht mehr nur auf Verträge oder Aufträge warten, sondern kann selbst etwas in Gang bringen, die Maschinerie anwerfen. Es gibt mir sehr viel Kraft, an diesem Boost beteiligt zu sein, der uns auch wieder aus der Krise herausbringen wird.
Welche zusätzlichen Fähigkeiten mussten Sie sich aneignen?
Yoncheva: Das Organisieren fiel mir sehr leicht. Ich kenne die Perspektive der Sänger sehr gut, weiß genau, welche Bedürfnisse sie haben, welchen Komfort sie brauchen, um gute Leistungen auf der Bühne bringen zu können. Ich habe ein kleines Team um mich, das sich mit Versicherungen, Verträgen und so weiter auskennt und selbst investiert. Alles Geld, was reinkommt, wird reinvestiert und ist Teil dieses Boost, den ich mir nicht nur für meine Heimat wünsche, sondern für das Kulturleben im Allgemeinen.