Es sind Stefan Vladars erste Wochen in Lübeck, als wir ihn am Theater treffen. Das zeigt sich an dem Büro, das provisorisch in einem Anbau für ihn eingerichtet wurde. Kurz vor dem Interview ruft auch noch der Spediteur an und teilt Stefan Vladar mit, dass seine Möbel aus Wien gerade eingetroffen seien. Also keine Zeit für Smalltalk und los geht’s.
Marzipan oder Sachertorte?
Stefan Vladar: Weder noch. Marzipan mag ich gar nicht, und Sachertorte esse ich ganz selten. Leider! Von den Süßigkeiten her ist Lübeck also die falsche Stadt. Aber das ist auch das Einzige, was hier falsch ist.
Sie bezeichnen Ihre Stelle als GMD am Theater Lübeck als „die Krönung Ihrer bisherigen Laufbahn“. Warum?
Vladar: Das ist natürlich nicht ganz richtig. Die Krönung meiner bisherigen Laufbahn ist es nicht. Aber es ist die Bestätigung, dass die Abzweigung, die ich vor ein paar Jahren vom Konzertpianisten zum Dirigenten genommen habe, die richtige war. Dass ich eine solche Position bekomme, in der auch die Oper eine zentrale Rolle spielt, ist für jemanden wie mich, der nicht aus der Oper kommt, sehr unwahrscheinlich. Deswegen sehe ich das als Krönung meines bisherigen Weges als Dirigent an.
Was erhoffen Sie sich von der Zusammenarbeit mit den Kollegen in Lübeck?
Vladar: Ich hoffe, dass es uns gelingt, zusammen ein fruchtbares gemeinsames Musizieren zu etablieren. In so einem Betrieb ist bisher jeder enttäuscht worden, der gedacht hat, jeder Tag muss eine Premiere sein. Deswegen ist es mein Ziel, den Spaß am Repertoirebetrieb aufrechtzuerhalten. Aber mal schauen, was mit mir passiert, wenn die zehnte „La Traviata“ kommt.
Gibt es Herzensprojekte, die Sie in Lübeck verwirklichen wollen?
Vladar: Ich habe einige meiner Herzensprojekte sozusagen schon auf dem Tablett stehen. Meine absolute Lieblingsoper ist „La Traviata“. Jetzt ist mir das Glück verwehrt gewesen, selbst eine neue „Traviata“ einzustudieren, aber zumindest darf ich die Wiederaufnahme dirigieren und werde versuchen, daraus meine „Traviata“ zu machen. Außerdem wollte ich aus Anlass des Beethovenjahres unbedingt den Zyklus der Beethoven-Sinfonien aufführen. Den Wunsch erfülle ich mir gleich in meiner ersten Spielzeit. Und mit einem Werk wie Mahlers zweiter Sinfonie zu starten, freut jeden Dirigenten und hoffentlich auch jeden Musiker. Da habe ich mir schon einiges an Wünschen erfüllt. Ansonsten denke ich eher von Fall zu Fall.
Ab August übernehmen Sie auch das Amt des kommissarischen Operndirektors am Theater Lübeck. Welche neuen Aufgaben kommen auf Sie zu?
Vladar: Die reichen von der Erstellung des Spielplans über die Aufstockung des Ensembles bis hin zum Finden der Regisseure. Und die alleinige musikalische Verantwortung, die ich bis jetzt hatte, wird zur Gesamtverantwortung erweitert. Das ist natürlich eine sehr große Herausforderung. Es war nicht mein Plan, diese Aufgabe schon so früh zu übernehmen. Aber manchmal ergeben sich die Dinge einfach, und man muss eine Entscheidung treffen. Diese habe ich jedoch mit großer Freude getroffen. Ich habe ein tolles Team und arbeite mit tollen Menschen zusammen. Deswegen bin ich sehr zuversichtlich und optimistisch, dass wir das gut schaffen werden.
1985 gewannen Sie als jüngster Teilnehmer den Internationalen Beethoven Klavierwettbewerb in Wien. Wann kam der Entschluss, auch zu dirigieren?
Vladar: Ich habe mich nicht dazu entschieden, Dirigent zu werden. Auch nicht dazu, Pianist zu werden. Ich wurde Pianist. Meine Liebe zur Musik kommt von meinem Vater, der mit uns Kindern sehr viel Musik gehört hat – zum Großteil Orchestermusik. In meinem Hinterkopf und meinem Herzen war immer dieser Orchesterklang. Es war nur logisch, dass ich mich damit beschäftige.
Wenn Sie mit dem Orchesterklang aufgewachsen sind, wäre es doch naheliegender, Sie hätten Violine oder Cello gelernt, oder?
Vladar: Nein, das glaube ich nicht. Man kommt beim Klavierspiel alleine viel schneller ins Musikmachen. Mit einem mehrstimmigen Instrument kann man einfach früher selbstständig ganze Musikstücke spielen. Und für mich ist der Weg zum Dirigieren über das Klavier fast der logischere als über ein anderes Instrument. Dass ich kein Orchesterinstrument gelernt habe, war der Tatsache geschuldet, dass ich am Klavier ganz gut war.
Und wie kamen Sie dann zum Dirigieren?
Vladar: Der Beruf und die Tätigkeit des Dirigenten haben mich immer schon fasziniert. Außerdem bin ich ein sehr sozialer Mensch und arbeite gerne im Team. Ich hatte zwei berühmte Kollegen, die mich an die Hand genommen haben: Horst Stein, mit dem ich sehr viel gespielt und bei dem ich mir immer wieder Ratschläge geholt habe, und Wladimir Fedossejew, der zehn Jahre lang mein Nachbar war. Im Gegensatz dazu ist das Klavierspiel eine sehr einsame Tätigkeit. Sich den ganzen Tag mit den eigenen Unzulänglichkeiten zu beschäftigen, ist für mich auf die Dauer nicht so befriedigend wie für andere Kollegen. Ich bewundere sie sehr dafür, ein ganzes Leben lang als Solopianist zu arbeiten – ich selbst aber könnte es nicht.
Ihre Laufbahn als Solopianist wollen Sie aber weiterführen.
Vladar: Ich kann es ja noch. Ich habe ganz bewusst sehr früh begonnen zu dirigieren. So kommt niemand auf die Idee, dass ich es nur deshalb tun würde, weil es mit dem Klavierspiel nicht mehr weiterging. Und für mich persönlich ist es eine zweite, sehr wichtige Schiene.
Auch Ihrer Heimatstadt Wien bleiben Sie treu: Als Klavierprofessor an der Musikhochschule. Beeinflusst denn Ihre Arbeit als Dirigent auch Ihre Arbeit als Klavierprofessor?
Vladar: Ja, alle Segmente meiner Tätigkeiten beeinflussen die jeweils anderen. Ich spiele anders, weil ich dirigiere, ich dirigiere anders, weil ich unterrichte. Die gegenseitige Befruchtung der einzelnen Tätigkeitsbereiche ist eine ganz große und wichtige Sache.
Lassen Sie sich gut von anderen „dirigieren“?
Vladar: Natürlich. Aber das Dirigieren ist ja keine Einbahnstraße. Man dirigiert nicht, was man sich vorgenommen hat, sondern was man hört – und reagiert darauf. Ich kann eine Partitur hundertprozentig studiert haben und weiß trotzdem vor der ersten Probe nicht, wie der erste Ton klingen wird. Beim Spielen ist das genauso. Das Wichtigste am Musizieren ist das Ausschalten des eigenen Egos. Sowohl als Dirigent, als auch als Solist.
Mit dem Bariton Bo Skovhus verbindet Sie eine innige Künstlerfreundschaft. Wie sind Sie sich über den Weg gelaufen?
Vladar: Ich bin mit vielen Künstlern gut befreundet, aber Bo Skovhus ist einer, mit dem ich eine sehr lange künstlerische und private Freundschaft pflege. Seit fast dreißig Jahren gestalten wir zusammen Liederabende. Kennengelernt haben wir uns über einen gemeinsamen Freund – meinen ältesten Freund –, den Liedbegleiter Helmut Deutsch. Er hat mich sogar in seinem Buch erwähnt: als einziger Pianist in seinem Leben, der ihm einen Sänger gestohlen hat (lacht). Was so nicht stimmt. Aber damals gab es an der Volksoper Wien, wo Skovhus seine Karriere startete, ein paar Liederabende, an denen Helmut Deutsch nicht frei war. Er hat mich empfohlen, weil er sich dachte, ich sei keine Gefahr für ihn. Falsch gedacht! Danach hat Skovhus mich gefragt, ob ich längerfristig mit ihm zusammenzuarbeiten möchte. Daraus ist eine lang anhaltende Zusammenarbeit entstanden.
Sind auch in Lübeck gemeinsame Liederabende geplant?
Vladar: Noch nicht. Er hat aber das erste Sinfoniekonzert, in dem wir Mahlers zweite Sinfonie gespielt haben, besucht.