Seit nahezu vier Jahrzehnten beherrscht Håkan Hardenberger die Trompeten-Szene und belebt sie durch immer neue Werke. Im Interview spricht der 57-jährige Schwede in nahezu fehlerfreiem Deutsch über die Beziehung zu seinem Instrument, die Gefahr von Crossover und darüber, was Musizieren mit Kochen gemein hat.
Ist Ihre Trompete ein Zufall?
Håkan Hardenberger: Es gibt keine Zufälle. Die Trompete ist mir passiert, weil es so sein sollte. Die Musik ist zu mir gekommen. In meiner Familie gab es dahingehend überhaupt keine Ambitionen, aber dann hat mir mein Vater, als ich ein kleiner Junge war, eine Trompete gekauft, und dann entfachte mein erster Lehrer in mir die Liebe zur Musik.
Sie wären also in jedem Fall Trompeter geworden?
Hardenberger: Nein, wäre ich woanders geboren, sicher nicht. Viele Musiker behaupten, eine private Beziehung mit ihrem Instrument zu führen. Die Trompete ist ja alles andere als perfekt: nur aus Metall, sie hat viele Fehler. Die muss man kennenlernen und zu einem Körperteil machen. Wenn mir jemand mein neues Mundstück stehlen würde, zu dem ich kürzlich nach dreißig Jahren gewechselt bin, wäre das durchaus auch eine menschliche Katastrophe, ja.
Muskulär ist Trompete sehr anstrengend. Wie schafft man es, so lange durchzuhalten?
Hardenberger: Üben, üben, üben. Nach wie vor.
Wie viel?
Hardenberger: Ein richtiger Arbeitstag hat sechs, sieben Stunden. Aber das macht ja jeder Mensch.
Hat die Trompete auch mal schlechte Laune?
Hardenberger: Da muss ich überlegen. Als ich jünger war, kam das öfter vor: Sie war der Boss. Mein Lehrer in Paris hat immer gesagt, zwei Leben wären zu wenig, um sie beherrschen zu lernen.
Trotzdem sind Sie weit gekommen. Lag das an Ihrem Repertoire? Welche Musik liegt Ihnen besonders am Herzen?
Hardenberger: Gute. Leider gibt es für die Trompete nicht so viel davon in der Alten Musik: Haydn, Bach, zehn Minuten D-Dur bei Telemann und Torelli, das ist schön, aber dann hört es schon wieder auf. Deswegen habe ich versucht, ein ernsthaftes Repertoire aufzubauen. Dadurch kann ich längere und komplexere Geschichten erzählen.
Welche erzählen Sie zum Beispiel mit Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert „Nobody knows de trouble I see“?
Hardenberger: Sehr viele in nur 16 Minuten! Das ist schon ein Meisterstück. Es wurde 1954 komponiert, also lange vor meiner Zeit, blieb aber wegen einer wenig gelungenen Uraufführung ewig in der Schublade. Zimmermann komponierte vierzig Jahre vor seiner Zeit: mitten in der Moderne im besten Sinne postmodernistisch. Von der Form her ist das ein Bach-Choral, benutzt aber auch Elemente der Zwölftonmusik, Jazz-Instrumente und -Klänge. Er wollte bewusst probieren, sie zusammenzuführen und damit auch politisch ein antirassistisches Zeichen setzen, denn der Jazz war ja zu der Zeit vor allem afroamerikanisch dominiert. Es war doppelt tragisch, dass dies nicht gelang. Umso besser, dass wir dem Stück nun die Bedeutung zurückgeben konnten, die es hat. Viele Jahre nach Zimmermanns Tod ist es ins Kernrepertoire eingegangen. Man vergisst es nicht leicht, auch nach einem großen Konzert wirkt es nach.
Sie spielen sehr viel Neue Musik, haben zahlreiche Werke in Auftrag gegeben. Gehört das zur Verantwortung eines Musikers?
Hardenberger: Erstmal war das ja purer Egoismus. Zum Malen brauchte ich eine größere Palette. All die damaligen Transkriptionen waren nicht mein Fall. Neues zu entdecken war daher so reizvoll. Als ich 25 war, plante ich meine erste Tournee durch Deutschland mit einem kleinen Streichorchester. Natürlich wollten alle Veranstalter Haydns Es-Dur-Konzert. Ich fragte meinen Lehrer: Soll ich auf meine neuen Werke bestehen oder lieber einknicken? Er antwortete: Wenn du es nicht machst, wer soll es dann tun? Das hat mich geprägt.
Ist das nur eine Verantwortung für die Weiterschreibung der Musikgeschichte oder auch für die Komponisten selbst?
Hardenberger: Ich kämpfe für die Komponisten, ohne sie geht es nicht. Da muss ich auch einigen meiner Kollegen böse sein: Das Musikgeschäft ist eine Verehrungsmaschine für Dirigenten und Starsolisten geworden. Komponisten dürfen nicht am Ende der Nahrungskette stehen.
Sie planen also noch weitere Auftragswerke.
Hardenberger: Absolut. Aber ich weiß ja nicht, wie lange man noch auf hohem Niveau Trompete spielen kann. Der Fundus ist stark angewachsen. Einige Stücke sind recht schnell ins Repertoire übergegangen, bei anderen ist es schwieriger. Zum Beispiel bei Harrison Birtwistles Trompetenkonzert wurde gesagt, das könne man nicht spielen, inzwischen haben es viele gute Kollegen im Programm. Henzes Requiem gehört heutzutage bei Wettbewerben zum Standard. Es dauert, bis sich gute Musiker und Orchester dafür interessieren.
Man sieht Ihnen die Genugtuung des Pioniers an.
Hardenberger: Finden Sie?
Können Sie Crossover projekten etwas abgewinnen?
Hardenberger: Es ist immer gefährlich, etwas zu tun, nur weil man es kann. Da bleibt eine große Leere. Die Gefühle müssen ernst gemeint sein. Wenn ich etwas nur tue wegen der Reputation oder wegen eines schnellen kommerziellen Erfolges, kann es sehr einfach schiefgehen. Das muss sehr gut arrangiert sein, sonst fliegt die Musik vorbei.
Immerhin haben Sie auch Filmmusik eingespielt.
Hardenberger: Darauf bin ich sehr stolz. Aber ich versuche immer, auch HK Gruber so zu spielen, dass die Musik verständlich ist.
Wie schwer ist es, bei Plattenfirmen und Veranstaltern eigene Wünsche durchzusetzen?
Hardenberger: Man muss sich seiner Sache klar sein und darf nur das tun, was man wirklich will. Es gibt immer Leute, die einem etwas einreden wollen.
Ist der kommerzielle Erfolgsdruck größer geworden?
Hardenberger: Für mich war es vor dreißig Jahren schwieriger.
Aber das hat mit Ihrer Prominenz zu tun.
Hardenberger: Das kann sein. Insgesamt ist es heutzutage natürlich schwieriger, überhaupt Platten zu verkaufen. Der Druck auf junge Künstler ist höher.
Was raten Sie Ihren Studenten?
Hardenberger: Seid stark. Hat man nicht das Gefühl, krank zu werden, wenn man nicht spielen darf, sollte man nicht Musiker werden.
Klingt hart.
Hardenberger: Aber so ist es.
Seit vielen Jahren sind Sie auch ein gefragter Dirigent. Was ist besser?
Hardenberger: Ich bin zuallererst Trompeter, dirigiere nur selten und nur die Programme, die mir liegen. Repertoiredirigenten gibt es genug. Ich versuche wie ein Kurator einer Ausstellung gut zusammenzustellen, was eine Beziehung zueinander hat.
Was ist an der Arbeit anders?
Hardenberger: Natürlich brauche ich beim Dirigieren nicht den körperlichen Prozess. Dafür bin ich als Solist bei manchen Proben ein bisschen hyperaktiv beim Orchester, weil ich selbst Vorschläge mache. Das hat früher bei manchen alten Meistern zuweilen Ärger gegeben. Deswegen arbeite ich heute am liebsten mit Freunden am Pult. Ein guter Dirigent muss wie ein Regisseur seinen Schauspielern eine Lesart vorgeben, nicht selbst Star sein.
Klingt so, als würden Sie im Repertoirebetrieb Routine fürchten.
Hardenberger: Gegen diesen Zynismus muss man täglich kämpfen. Es ist ganz einfach, in dieses große schwarze Loch hineinzufallen. Wenn die Musik nicht gut ist, spürt das jeder.
Ausgleich hilft. Was machen Sie außerhalb der Musik?
Hardenberger: Regelmäßig viel Sport. Und ich koche gern.
Was eint Musizieren und Kochen?
Hardenberger: Leute beglücken. Gutes Handwerk.
Auch Geduld?
Hardenberger: Und Fantasie. Man bekommt Liebe zurück. Es besteht ein Gleichgewicht zwischen Handwerk und Inspiration.
Klingt ja, als wären Sie ein Gourmetkoch.
Hardenberger: Vielleicht braucht man auch dafür zwei Leben.