„Lass dir Zeit“ – dieses Lebensmotto gab ihr einst Sir Simon Rattle mit auf den Weg. Dass Veronika Eberle diesen Satz als Leitspruch in sich trägt, mag verwundern, schließlich schien ihre Solokarriere bereits vorgezeichnet, als sie als Mädchen in München Geige studierte und somit das Wort „Wunderkind“ nicht allzu abwegig war. Ihr erstes Solokonzert etwa gab sie mit neun Jahren. Und doch gelang es ihr, jenen Glamour-Zirkus zu umschiffen, der zwar kurzfristig Ruhm bringt, auf Dauer jedoch die Künstler ausbrennen lässt. Stattdessen gab sie ihrer musikalischen Entwicklung die Zeit, die sie brauchte.
Frau Eberle, Sie haben im Kindesalter Ihr Studium begonnen. War das damals nicht merkwürdig, so unter lauter erwachsenen Menschen?
Veronika Eberle: Als ich mit zehn Jahren die Aufnahmeprüfung für das Münchner Konservatorium gemacht habe, war das tatsächlich sehr lustig, weil die anderen Bewerber mich ziemlich komisch angeschaut haben. Das Studium selbst war dann verhältnismäßig „normal“, da ich als Jungstudentin letztendlich nur Hauptfachunterricht hatte. Ich bin da hingefahren und danach gleich wieder zurück – ein richtiges Studentenleben war’s also nicht …
Jungstudentin zu sein, ist das eine, sich dann für den Beruf zu entscheiden das andere. Wann wussten Sie, dass Sie mit Ihrem Geigenspiel Geld verdienen wollten?
Eberle: Bei vielen Künstlern gibt es ja eine Art Schlüsselerlebnis. Ein solches hatte ich letztendlich nicht. Als ich mit sechs Jahren meine erste Geige bekam, war ich sofort fasziniert von diesem Instrument. Und wie das so ist bei Sachen, die man als Kind gerne macht, habe ich so viel Zeit wie möglich mit der Geige zugebracht. Das Üben war für mich nie ein Müssen, sondern eigentlich fast schon ein Bedürfnis. Außerdem hatte ich das Glück, eine gewisse Begabung mitzubringen, schließlich sind Erfolgserlebnisse nicht ganz unwichtig, um Spaß bei einer Sache zu entwickeln.
Sie sind also in den Beruf „reingerutscht“?
Eberle: Ja und nein. Ich hatte zum Beispiel von Anfang an fantastische Lehrer, was man nicht steuern kann. Mit Anfang zwanzig jedoch, als ich eine „richtige“ Studentin war, kam dann tatsächlich der Moment, an dem ich mich erstmals gefragt habe, ob ich das wirklich machen möchte. Das heißt: Eigentlich habe ich mich das gar nicht richtig gefragt. Ich habe lediglich darüber nachgedacht, und mir war sofort klar, dass ich diesen Beruf ausüben möchte. Wenn man so will, war das für mich selbst die endgültige Bestätigung für etwas, was sich über Jahre hinweg angebahnt hat. In dieser Phase wurde mir auch klar, dass das Geigenspiel für mich nicht nur Freude und Erfüllung bedeutet: Es ist für mich ein wichtiges Mittel, um mich auszudrücken, gewissermaßen ein Sprachrohr.
So entspannt, wie Sie das alles schildern, klingt das so, als hätten Sie nie Leistungsdruck verspürt …
Eberle: Nicht im eigentlichen Sinne, das ist richtig. Allerdings bin ich mir selbst gegenüber sehr anspruchsvoll. Wenn man als junges Kind anfängt zu studieren und in einer Klasse mit Arabella (Steinbacher, d. Red.), Lisa (Batiashvili, d. Red.) und Julia (Fischer, d. Red.) ist, die wesentlich älter und reifer sind, dann eifert man denen natürlich nach und will so sein wie sie. Aber das war ein Standard, den allein ich selbst für mich gesetzt habe.
Ging denn manches für Sie zu schnell?
Eberle: Nicht, wenn man mittendrin steckt. Dann hat man seine Hürden und Aufgaben, denen man sich stellt. Deswegen habe ich vorhin so betont, dass ich Glück mit meinen Lehrern hatte: Man kann das auch noch ausweiten auf die vielen Künstlerpersönlichkeiten, die ich treffen durfte und die mich unterstützt und weitergebracht haben. Das kam alles ganz natürlich, so dass die Entwicklungen zwar schnell, am Ende aber doch geordnet vonstatten gingen. Es waren einfach zur richtigen Zeit die richtigen Leute am richtigen Ort.
Gibt es noch heute für Sie bestimmte Personen, an die Sie sich wenden, oder erarbeiten Sie sich alles inzwischen komplett alleine? Nach herkömmlicher Zeitrechnung sind Sie ja noch im Studentenalter …
Eberle: In aller Regel alleine, aber ich tausche mich sehr gerne aus. Zum Beispiel habe ich kürzlich mit dem Dirigenten Heinz Holliger Bartóks Violinkonzert aufgeführt. Der ist ja nachgerade ein wandelndes Lexikon, ein Genie! Sich mit ihm auszutauschen, ist ungemein bereichernd. Er selbst hat bei einem Bartók-Schüler studiert, da ist es für einen jungen Musiker natürlich faszinierend zu hören, was er in einem Stück wie Bartóks Violinkonzert alles sieht. Trotzdem muss man seine eigenen ästhetischen und musikalischen Vorstellungen haben und mit in die Proben bringen. Musik ist halt am Ende des Tages eine rein subjektive Sache. Allerdings kann ein Austausch den Zugang zur Musik durchaus vertiefen.
In dieser Saison haben Sie auch einige Debüts in den USA gegeben. Empfinden Sie die Konzerte in den USA anders als in Europa?
Eberle: Nicht, was die Hingabe anbelangt. Die ist ganz wunderbar. Was die Orchester selbst anbelangt, mit denen ich zusammengearbeitet habe, merkt man schon, dass die Musiker aus einer anderen Schule kommen. Das ist eine reiche und schöne Erfahrung. Allerdings wäre es falsch, die nordamerikanischen Orchester über einen Kamm zu scheren: Das Orchester in Philadelphia ist ganz anders als dasjenige in Boston oder Montreal.
Und das Publikum?
Eberle: Das ist erstaunlicherweise traditioneller. Das Violinkonzert von Alban Berg etwa gilt dort noch immer als viel moderner als hier. Andererseits haben die USA zahlreiche zeitgenössische Komponisten, die aber ganz anders schreiben als etwa ein Jörg Widmann.
Gibt es in näherer Zukunft weitere Debüts, auf die Sie sich besonders freuen?
Eberle: Ich freue mich extrem auf die erste Zusammenarbeit mit Bernard Haitink und dem London Symphony Orchestra, weil ich ihn sehr bewundere. Ich habe ihn oft vom Publikum aus schon gehört. Die siebte Sinfonie von Bruckner mit den Berliner Philharmonikern war für mich als Zuhörerin eine absolute Sternstunde. Insofern ist es für mich eine Freude und Ehre gleichermaßen, mit ihm jetzt in Kontakt zu kommen. Worauf ich mich auch besonders freue, ist ein Projekt an der Staatsoper Hamburg mit Kent Nagano und Christoph Marthaler: Es ist die Oper „Lulu“, bei der ich als Violine involviert bin. Darauf freue ich mich vor allem deshalb, weil man als Solistin die Opernwelt nur als Außenstehende kennt. Wie so eine Inszenierung entsteht, wie man sich vorher miteinander abstimmt und austauscht, die ganze Probenarbeit – das ist für mich völlig neu und total spannend.
Sitzen Sie denn oft im Publikum bei Konzert- oder Opernaufführungen? Schließlich könnte man meinen, ein Musiker ist froh, wenn er abends mal zuhause sein kann …
Eberle: Ich gehe immer noch sehr gerne in Konzerte, wenn auch nicht so häufig wie früher. Aber wenn ich in einer fremden Stadt bin und abends frei habe, schaue ich schon, was abends in den Konzert- oder Opernhäusern läuft. Und zuhause in Berlin besuche ich ebenfalls sehr gerne die Philharmonie oder das Konzerthaus. Wobei ich gestehen muss, dass ich eher in Konzerte gehe als in die Oper.