In der Kantine des Berliner Konzerthauses fällt eine Geigerin wie Viviane Hagner eigentlich nicht auf. Kurz nach einer von Schülern besuchten Generalprobe stehen jedoch die Fans Schlange, um der 36-Jährigen ihre Begeisterung auszudrücken. Der Weltstar nimmt es gelassen – und bleibt bescheiden. Dabei gehört die Hagner zu den jungen Violinistinnen, die bereits in Kindertagen mit großen Orchestern zusammenspielen durften und mit ihren frühen Preisen internationale Aufmerksamkeit erlangten. Inzwischen verschreibt sie sich selbst der Nachwuchsausbildung – als Professorin an der Berliner Universität der Künste und als „Meisterin bei den Meisterschülern“. Im 50. Jahrgang des Wettbewerbs „Jugend musiziert“, den sie in den 80er Jahren selbst zweimal gewann, gibt sie einen Meisterkurs. Das gemeinsame Preisträgerkonzert wird im Konzerthaus die besten der Besten versammeln.
Was genau planen Sie im August?
Ich werde einen Kammermusik-Workshop im Rahmen des Festivals „50 Jahre Jugend musiziert“ leiten und selbst im Abschlusskonzert der Preisträger mitspielen. Das zweite Konzert wird Lars Vogt betreuen.
Warum engagieren Sie sich so für den Musikernachwuchs?
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig die Nachwuchsförderung ist. Gerade „Jugend musiziert“ leistet hierfür einen unersetzlichen Beitrag. Nicht nur das miteinander Messen, sondern auch die zahlreichen Förderinitiativen im Anschluss wie Einladungen zu Kursen oder in die Landes- und Bundesjugendorchester sind für die jungen Musiker wichtig und ein guter Ansporn. So kann der Wettbewerb ein wichtiger Schritt sein, das Musizieren in eine berufliche Laufbahn zu lenken.
Wann waren Sie das letzte Mal Preisträgerin?
Als Elfjährige habe ich 1988 zum ersten Mal mit der Geige gewonnen, zwei Jahre später noch einmal im Klavierduo mit meiner Schwester.
Was nützen solche Wettbewerbe?
Den größten Gewinn sehe ich in der intensiven Vorbereitung des Repertoires, das sage ich auch meinen Studenten. Musik und Wettbewerb lassen sich eigentlich ja nur schwer zusammenbringen, weil ein Preis von vielen Faktoren, nicht zuletzt dem Moment des Vorspiels, abhängt. Erstes Ziel sollte nicht das Gewinnen sein, sondern das Fokussieren auf einen Punkt. Für mich war in dem Alter neu, mich über einen relativ langen Zeitraum auf vergleichsweise wenige Stücke zu konzentrieren. Beim Ausloten der Grenzen lernt man sehr viel.
Welche Grenzen können das sein?
Technik und musikalischer Ausdruck stehen da natürlich im Vordergrund, aber es geht auch darum, mit dem Stress, der Nervosität vor einem Auftritt umgehen zu lernen.
Sind Jugendliche, die so konzentriert, manchmal auch verbissen an sich arbeiten, heute noch modern?
Das hat wohl eher mit Erziehungsfragen zu tun. Ich glaube, dass Extreme in beide Richtungen nicht gut sind. Zu viel Erwartungsdruck schadet genauso wie Unterforderung oder Langeweile. Es ist eine konstante Herausforderung, den richtigen Mittelweg zu finden.
Wie war das in Ihrer eigenen Kindheit?
Ich hatte ein ordentliches Pensum, neben der Schule die Zeit und die Konzentration zum Üben zu finden. Andererseits habe ich nichts vermisst. Auch musizierende Kinder nehmen sich schließlich ihre Freizeit neben der musikalischen Arbeit. Aber gerade die technischen Grundlagen beim Instrumentalspiel müssen in einem Alter gelegt werden, in denen ein Kind noch gar nicht selbst einschätzen kann, ob sein Talent für eine professionelle Musikerlaufbahn ausreicht. Da haben die Eltern und Lehrer sehr viel Verantwortung. Da kann die Ermunterung, am Ball zu bleiben, genauso wichtig sein wie die Erkenntnis, dass die Begeisterungsfähigkeit des Kindes der Begabung hinterherhinkt.
Sind Sie selbst ein Wunderkind gewesen?
Nö, überhaupt nicht. Mozart war ein Wunderkind.
Aber Sie sind mit 13 Jahren mit Zubin Mehta aufgetreten?
Das ergab sich, als man mich anlässlich eines Preisträgerkonzertes dafür anfragte, weil ich kurz zuvor den Wettbewerb mit meiner Schwester gewonnen hatte. Trotzdem habe ich danach – nicht zuletzt auf Anraten meiner klugen Eltern – nur sehr wenige Engagements angenommen und bin so der Gefahr einer „Wunderkinderkarriere“ entkommen. Bis zum Abitur bin ich höchstens mal in den Ferien aufgetreten. Die Zeit habe ich zum Lernen genutzt, vor allem Repertoire.
Gab es einen Plan B?
Ich brannte für ein Leben auf der Bühne. In der Schule war ich vielseitig interessiert, vor allem für Sprachen. Da wäre mir schon noch was eingefallen, aber wahrscheinlich nicht mit der gleichen Leidenschaft.
Setzt sich jeder durch, der wirklich gut ist?
Sicher nicht. Mir würden einige Leute einfallen, die fantastisch sind, es aber trotzdem nicht geschafft haben.
Was braucht es für eine Karriere, wenn die musikalische Qualität nicht allein entscheidet?
Da braucht es in erster Linie sehr viel Glück. Und erfahrene Mentoren, wohlmeinende Ratgeber, denen man vertrauen kann.
Letzten Endes muss man vermutlich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
Ja, Zufälle können auch manchmal entscheidend sein. Und Ausdauer braucht man – zum Beispiel der Reisealltag ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Man muss sowohl mit Erfolg als auch mit Misserfolg zurechtkommen, das ist nicht jedem gegeben. Und mit Kritik sollte man umgehen können.
Wie kann man als Kind Stücke wirklich verstehen, um sie musizieren zu können?
Man kann Musik auf verschiedenen Ebenen verstehen. Ich gestehe auch ganz jungen Leuten zu, dass sie ihren Zugang zum Stück gefunden haben und dann so musizieren, wie es sich für sie richtig anfühlt. Im Verlauf eines Lebens wird es immer so sein, dass man später die eine oder andere Interpretation auf ihre Schlüssigkeit hin überprüft. Wenn jugendliche Musiker ein Werk heute so empfinden, finde ich es völlig legitim, dass sie es dann auch so umsetzen. Die reiche Palette an persönlichen Erfahrungen beeinflusst das Spiel später immer wieder neu.
Was können Sie Ihren Studenten beibringen, wenn man Empfindung nicht lehren kann?
Zunächst ermutige ich sie, über harmonische und musikhistorische Zusammenhänge einen Zugang zum Werk zu finden, das mache ich selbst auch so. Letztlich kann ich sie aber nur ermuntern, ihren eigenen Weg zu suchen. Es gibt nicht die eine Lehrmeinung, wie man dieses oder jenes Werk spielen muss. Ich kann nur das Selbstlernen lehren.
Sie nehmen auch am Bildungsprojekt „Rhapsody in School“ teil und gehen kostenlos in ganz normale Schulen. Auf Bundesebene des Wettbewerbes „Jugend musiziert“ treten dagegen hochbegabte Talente an. Wie nehmen Sie den Gegensatz wahr?
Der Realität muss man ins Auge schauen. Ich finde es spannend, in Schulen mit durchschnittlicher musikalischer Bildung zu kommen, in denen ich übrigens oft Überraschungen erlebe, was die musikalischen Kenntnisse und Interessen betrifft. Es hängt nach meiner Erfahrung viel vom jeweiligen Musiklehrer ab, wie gut sich eine Klasse konzentrieren kann oder wie interessiert sie ist.
Welchen Fragen begegnen Sie da?
Das hängt ganz von der Vorbildung ab, die Unterschiede sind da erstaunlich groß. Ich schätze es, dass vor allem jüngere Kinder ganz unbefangen sind und gerne ein schnelles, direktes Feedback geben. Ob und warum ihnen etwas gefällt oder nicht, teilen sie begeistert mit. Wahrscheinlich werden diese Kinder später nicht alle Konzertgänger, aber ich glaube, im Unterbewusstsein bleibt doch etwas hängen.
Ist musische Bildung nicht gefragt?
Sie hat leider keine hohe Priorität, weil sie vielleicht keinen schnellen sichtbaren Erfolg bringt. Man braucht einen langen Atem, um ihre Ergebnisse zu erkennen. Es ist jeder gefordert, so viele Menschen wie möglich davon zu überzeugen, dass musische Bildung lebensnotwendig ist.
Was prognostizieren Sie: Wann stirbt das Publikum für klassische Musik aus?
Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Es gibt durchaus auch Erfolge, man muss nur etwas dafür tun und das Publikum mit neuen Mitteln an ein Haus binden.