Eine Gartenlandschaft wie am Rande des Regenwalds. Sie wächst an der Wand des Kellercafés im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann entlang. Anne Schwanewilms deutet vom Sofa aus auf das exotische Grün. „So etwas zum Beispiel macht man, wenn man Gartenbau oder Floristik studiert.“ Eine Lehre als Floristin, sogar die Gesellenjahre danach hat sie absolviert, dann im Blumenladen gearbeitet. Von fachkundig gestalteten Gärten kann Anne Schwanewilms auch heute kaum ein Auge wenden. Vom professionellen Gartenbau ist der Sopranistin ein genießender, aber auch analytischer Blick auf ihre Umgebung geblieben. Wenn sie heute nicht in ihrem Garten arbeitet, sondern weit weg von jedem Sonnenlicht ihre Rollen im Opernhaus probt, fällt ihr Auge sofort auf die Facetten des Bühnenbildes. Noch heute gerät sie ins Schwärmen, wenn sie an die Künstlerin Rosalie und ihr Bühnenbild zum Bayreuther „Ring des Nibelungen” vor rund 20 Jahren denkt: „Rosalie hatte immer einen Grund, weshalb sie zum Beispiel grünes, mattes Material genommen hat oder aber dünnes glänzendes Lackmaterial. Es inspiriert mich, wenn die verschiedenen künstlerischen Berufe ineinandergreifen und gemeinsam das Stück erzählen.“
Egal, was der Regisseur tut – es muss durchdacht sein
Anne Schwanewilms braucht diese Inspiration, sie braucht den genauen Blick und Informationen, die über ihr Metier hinausreichen. Regisseure und Dirigenten brauchen all das auch – denn die Sopranistin möchte auf Augenhöhe überzeugt werden. Im Sommer 2017 kehrt Anne Schwanewilms als Eva in Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg” ins Bayreuther Festspielhaus zurück. Wagner hat sich ein junges Mädchen gedacht, der Regisseur Barrie Kosky hat sich für sein Debüt auf dem Grünen Hügel mit Schwanewilms eine Sängerin mittleren Alters ausgesucht, und zwar absichtlich. „Der Mann weiß, was er tut. Ich darf darüber nichts verraten, aber er hat mich mit seinem Konzept der Eva-Figur völlig überzeugt.“ Das ist nicht selbstverständlich. „Ich sage nicht sofort ,Ja‘ zu einem Rollenangebot. Ich muss immer erstmal schauen, was der Regisseur mit dem Stück will.“ Schließlich stünden sechs Wochen Proben an, und das könne auch zur Qual werden, wenn eine Figur nicht genügend durchdacht sei.
Als Anne Schwanewilms sich fünf Jahre Auszeit von ihrem Floristik-Job nahm, um Gesang zu studieren, stieg sie als tiefer Alt ein. Aus dieser Zeit hat sie die Erfahrung mitgenommen, mit einer Rolle auch mal zu hadern. Etwa, wenn sie als Mutter in „Hänsel und Gretel” zwanzig Jahre jünger war als die Sängerinnen der Märchenkinder. „Es wurde schwierig für mich, weil sich eine Sängerin mit 45 auch nicht gerade wie ein junger Bub benimmt.“
Eine Aufnahmeprüfung ist kein Beratungsgespräch
Darstellerische Glaubhaftigkeit war es dann, die Anne Schwanewilms 2002 den Kritikerpreis der „Opernwelt” eintrug. Erwartet hatte sie das nicht. Körper und Stimme müssen auf der Bühne eins werden – von diesem Anspruch würde Anne Schwanewilms niemals abrücken. Sie erinnert sich noch daran, wie wenig sie ihren Körper bei den Aufnahmeprüfungen zum Gesangsstudium beherrschte. „Beim ersten Mal war es eine Katastrophe, meine Hände haben sich bewegt, und ich wusste nicht, was da mit mir geschieht. Es war etwas anderes, als ein Beratungsgespräch im Blumenladen zu führen.“
Es ist wiederum die Stimme gewesen, die für Anne Schwanewilms am Ende den Zugang zu ihrem darstellenden Körper ermöglicht hat. Es ist eine Klarheit über das eigene Tun, die es wiederum möglich macht, für jede Nuance des Lebens eine Farbe in der Stimme zu finden. Darum ging es Anne Schwanewilms. „Wenn ich das nicht geschafft hätte, wäre ich wieder Gärtnerin geworden.“