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Opern-Kritik: Händel-Festspiele Halle – Amadigi di Gaula

Barock reloaded

(Halle, 25.5.2024) Die Eröffnung der Händel-Festspiele Halle mit „Amadigi di Gaula“ in der Inszenierung von Louisa Proske und ihrem Team bietet all den visuellen wie musikalischen Zauber, der dem Anlass gemäß ist.

vonRoberto Becker,

Man hätte ja einfach die „Wassermusik“ nehmen können, als es zur geplanten Eröffnung der Händel-Festspiele in Halle unter freiem Himmel heftig schüttete. Aber derart viel Liebe zum Kalauer gab es dann doch nicht. Man zog kurzerhand vom Händeldenkmal auf dem Markt in die Konzerthalle Ulrichskirche um. Am Abend gelangten die Besucher der Eröffnungspremiere der Festspiele dann aber trockenen Fußes ins Opernhaus, das traditionsgemäß eine Neuproduktion in jeder Spielzeit für eine Oper des europäischen Hallensers par excellence bereit hält. Was dazu führt, dass die Oper in Halle wohl weit und breit das einzige Haus sein dürfte, das immer zwei Händelopern in einer Spielzeit auf dem Plan hat. In diesem Jahr gibt es neben der neuen „Amadigi di Gaula“ noch mal den „Xerxes“ des letzten Jahres. 

Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle
Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle

Spezialorchester und Spezialistenexzellenz

Wie für die Festivals in Göttingen und auch Karlsruhe ist ein Spezialorchester heute selbstverständlich. In Halle ist es das zur Staatskapelle gehörende Händelfestspielorchester. Neben der Ausstattung mit den entsprechenden Instrumenten gehört es zur Erfolgsgeschichte dieses Klangkörpers, dass der sich immer wieder Spezialisten einlädt. Die Einladung an den Spanier Dani Espasaerwies sich als Glücksfall. Anders als zum Beispiel beim Kurt-Weill-Fest im benachbarten Dessau hat man mit Händels über 40 Opern nicht das Problem, sich schnell wiederholen zu müssen. „Xerxes“ gehört zu den Langzeithits des Meisters. „Amadigi di Gaula“ eher nicht. 

Die Händel-Festspiele haben zwar nicht ein Problem mit ihrem Erfolg bzw. ihrer Anschubwirkung für die Händelrenaissance und den Barockboom. Die Spezialistenexzellenz der Orchester und Interpreten bleibt das, was sie ist: das besondere, das ein Festspiellabel rechtfertigt. Aber umgehen müssen die Festspiele damit schon. Es fällt auf, dass man bei den szenischen Zugängen der drei deutschen Händelfestspiele aktuell auf die eigenen Ressourcen setzt. In Karlsruhe auf den Hausintendanten, und auch in Göttingen inszeniert der Chef selbst. In Halle ist es jetzt zum zweiten Mal in Folge die Hausregisseurin Louisa Proske. 

Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle
Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle

Spannung verheißender Clash der Epochen

Bei Händelopern lässt sich dem aktuellen Zeitgeist nicht wirklich mit allfälligen Zugeständnissen an Diversität etc. schmeicheln oder entsprechen. In der Epoche der Kastratenstars, also der Entstehungszeit der Barockopern, war das zumindest auf der Bühne selbstverständlicher als heute in den Diskursen. Das Abtauchen in die Abgründe einer von Fake News dominierten digitalen Parallelwelt und die Vision einer außer Kontrolle geratenden Künstlichen Intelligenz klingt dagegen schon eher nach einem Spannung verheißenden Clash der Epochen.

Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle
Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle

Virtuose Arien für einen Counter, einen Mezzo und zwei Soprane

Nehmen wir einmal an, man beauftragt ein gut ausgestattetes KI-Programm zur Erstellung einer Opernproduktion und gibt die folgenden Parameter ein: mitreißende Barockmusik aus der Phase der frühen Meisterschaft der ersten Londoner Jahre Händels (sagen wir 1715). Virtuose Arien für einen Counter, einen Mezzo und zwei Soprane, davon eine mit Power, die andere mit Gefühl, wobei für alle gilt: immer hübsch an der Rampe und ins Publikum singen. Dazu Kostüme, die was hermachen, also wie nachempfundener Barock aussehen, und ein Ballett im Halbdutzendformat, das hübsch illustriert und bei jeder Gelegenheit mit anderen Kostümen aufkreuzt. Die Story bleibt im Stile einer Zauberinnenoper, in der zwei Männer hinter einer Frau her sind, die aber nur einen davon will und der auch noch das Objekt der Begierde der Zauberin ist. Nicht zu vergessen: ein Happyend, bei dem sich die Richtigen kriegen und die anderen verschwunden sind, wobei das auch von einem Deus ex machina verordnet werden und in der Realität von heute ankommen darf. Dazu gestattet man der KI, sich gern auch selbst mit in Szene zu setzten.

Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle
Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle

Ein Coup: die opulenten Kostüme

Wenn da kein Eingabefehler passiert und das entsprechende Personal im Graben (es bleibt schon bei Livemusik der Spitzenklasse) und auf der Bühne bereitgestellt wird, dann könnte ungefähr so etwas rauskommen, wie jetzt „Amadigi di Gaula“ in Halle. Zusammen mit Regisseurin Proske haben Kaspar Glarner (Bühne und Kostüme), Jorge Cousineau (Video) und Michal Sedláček (Choreografie) diese fiktive Arbeit der KI mit dem vollen Einsatz ihrer herkömmlichen Mittel übernommen. Ein Coup waren dabei vor allem die opulenten Kostüme. Allen voran die großen ausladenden Roben für die Zauberin Melissa. Franziska Krötenheerdt trägt alle Varianten mit großem Effekt. Was den vokalen Furor ihrer Auftritte unterstreicht, mit denen sie sich erneut als für Halle passgenau händelaffines Ensemblemitglied bewährt. Das gilt auch für ihre Mezzokollegin Yulia Sokolik, bei der die Hosenrolle des Dardano in bester, weil perfekt geführter Kehle liegt. Dieser Dardano begleitet den Titelhelden Amadigi in das Reich von Melissa. Dabei stellt sich heraus, dass beide in Oriana verliebt sind, die von der gerade 24-jährigen Serafina Starke mit jugendlicher Leichtigkeit und ausdrucksstark verkörpert wird. Für den Titelhelden Amadigi kann der polnische Counter Rafał Tomkiewicz nicht nur eine wohltimbrierte kraftvolle Stimme, sondern auch Rollenerfahrung einbringen. Chorsolistin Deulrim Jo komplettiert als Deus ex machina (hier ist es Händel in Gestalt seines Denkmals auf dem Marktplatz persönlich) das Protagonistenensemble. Es ist eines, das sich die Bälle zuspielt und auch jedes Duett glänzen lässt. Getragen wird alles von einem Händelfestspielorchester in Hochform, ausdrücklich inklusive exzellenter Bläser!

Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle
Szenenbild aus „Amadigi di Gaula“ bei den Händel-Festspielen Halle

Flut hochästhetischer Farben

Diese von einer Frau beherrschte Zauberwelt, inklusive aller Sinnestäuschungen, die offensiv eingesetzt werden, ist auf der Bühne ins dunkle Zentrum der digitalen Welt projiziert. Ein gigantischer Server mit unendlich vielen Schränken voller blinkender Gerätschaften auf der Bühne und im Video. Ohne die Bindung an eine materielle Basis funktioniert auch die künstlichste und intelligenteste KI halt nicht. Die Videofahrten durch diesen wirklichen Raum der Unwirklichkeit imaginieren riesige Werkhallen. Wenn dann aber menschliche Porträts und ganze Traumwelten generiert werden, überfluten hochästhetische Farben den Raum. Er wird zu einer Art Holodeck für ein opulentes mittsommernachtskompatibles Paradies auf Erden. Wenn sich am Ende Melissa selbst aus dem Spiel nimmt und in einem der Schränke verschwindet, stellt sich zwar die Frage, ob die Zauberin die imaginierte KI sein sollte. Dass ihr Reich dann aber zusammenbricht und alle auf dem Marktplatz zu Füßen des Händeldenkmals ausgelassen tanzen, ist wohl mehr dem verordneten Lieto fine zu danken, wie auch die ganze Bildwelt letztlich nur eine ins Digitale übersetzte barocke Kulisse ist. 

Händel-Festspiele Halle
Händel: Amadigi di Gaula  

Dani Espasa (Leitung), Inszenierung: Louisa Proske (Regie), Kaspar Glarner (Ausstattung, Jorge Cousineau (Video), Patric Seibert (Dramaturgie), Rafał Tomkiewicz, Franziska Krötenheerdt, Serafina Starke, Yulia Sokolik, Deulrim Jo, Händelfestspielorchester Halle



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