Cole Porters Musical „Silk Stockings“ hatte in Europa nie den Erfolg anderer Klassiker des Genres. Obwohl sich das Handlungsgerüst am berühmten Lubitsch-Film „Ninotschka“ mit Greta Garbo orientiert. Und obwohl die Deutsche Hildegard Knef am Broadway in der Uraufführungsserie ab 1955 die Titelrolle spielte. Später, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, ist das Interesse an dem Musicalstoff über private Konflikte während des Kalten Krieges sowieso abgeflaut. Doch jetzt, nach der Neuinszenierung an der Oper Graz, könnte das Stück womöglich wieder mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der aus Film, TV und Bühne bekannte Max Hopp, der nicht zuletzt an der Komischen Oper Berlin in der Ära Barrie Kosky als Operetten- und Musicaldarsteller glänzte und mittlerweile auch selbst inszeniert, bringt in seiner Grazer „Silk Stockings“-Regie frischen Wind in die Sache. Er verzichtet in seiner Lesart auf schablonenhafte Konflikte der Ideologien und Typen. Stattdessen setzt er auf runde, vielschichtige Charakterzeichnungen. Damit gewinnt das Stück.
Filmschnittartige Ortswechsel zwischen Paris und Moskau
„Silk Stockings“ erzählt, wie die streng linientreue Sowjet-Agentin Nina „Ninotschka“ Yaschenko in Paris auf den US-Filmimpresario Steve Canfield trifft. Natürlich verlieben sich beide, wir sind ja im Musical. Ninotschka kommt in heikler Mission an die Seine. Sie soll den sowjetischen Komponisten Boroff, der von Steve für Filmmusik verpflichtet wurde, zurück ins kommunistische Mutterland bringen. Außerdem auch drei nichtsnutzige Agentenkollegen, die auf Boroff angesetzt waren, sich aber lustvoll in Paris verbummeln. Diese Handlung mit all ihren Verwicklungen wird temporeich auf die Bühne gebracht.
Mit wenigen, klug eingesetzten mobilen Requisiten und gekonnter Lichtregie wird Bühnenillusion gezaubert (Bühne und Kostüme: Marie Caroline Rössle, Licht: Sebastian Alphons). Schnelle, fast schon filmschnittartige Ortswechsel zwischen Paris und Moskau ins Büro des Kulturkommissars Markowitsch (János Mischuretz) funktionieren per Hubpodium aus der Unterbühne. Der bürokratische Schlendrian entfacht süffige Komik: Mal muss sich Markowitsch rasch von Balletttänzerinnen aus seinem Büro verabschieden, mal überfordern ihn Anrufe, mal erschrecken ihn Boten. Alles ulkige Kabinettstücke.
Ideologische Fehltritte in der Stadt der Liebe
Die Haupthandlung in Paris spielt praktisch durchgehend auf einem Filmset. Hier reichen rollende Requisiten und Licht, um Illusion zu erzeugen. Ein paar Straßenlaternen und ein funkelnder Sternenhimmel als Bühnenhintergrund vermitteln überzeugend Paris als Stadt der Liebe bei Nacht. Ein Sowjetstern dient als szenischer Hintergrund für Ninotschkas Befürchtungen, wie sie sich vor einem zukünftigen Tribunal für ihre ideologischen Fehltritte in Paris zu rechtfertigen hat.
Die analytisch denkende Agentin mit faszinierend kühlem Charme
Die Besetzung der drei Hauptpartien ist ein Glückgriff. Die polnische Jazzsängerin Natalia Mateo als Ninotschka erinnert auf der Bühne an die junge Lauren Bacall. Mateo gibt die analytisch denkende Agentin mit faszinierend kühlem Charme. Auch wenn sie das lindgrüne Sowjet-Kostüm mit Pelzkragen und Bleistiftrock für die weit schwingende altweiße Robe im New Look abgelegt hat, ist sie nicht auf Knopfdruck das kapitalistische Konsum-Weibchen, sondern hat weiterhin Zweifel und zeigt fragile Seiten. Zu den titelgebenden Seidenstrümpfen greift sie nur einmal eher verstohlen. Ihre zarten Töne im Gesang, ihre Bewegungssprache, in den Tanzeinlagen zunächst geradezu erstarrt, dann vorsichtig tastend (Choreographie: Martina Borroni), machen glaubhaft: Es sind nicht die Verlockungen kapitalistischer Konsumartikel, sondern tatsächlich die Liebe und die Freiheit, sein zu können, was man ist, die diese Ninotschka an Paris bindet. Der österreichische Schauspieler Michael Rotschopf wiederum zeigt, dass der Macher aus Hollywood voller Sehnsucht ist. Nach dem Streit mit Ninotschka über die Verwendung der Musik des Komponisten Boroff im Film singt, spielt, tanzt, schleudert dieser Steve seinen Liebeskummer heraus. Ein wütender, tieftrauriger Fred Astaire, dem die Spannkraft des Showtanzes abhandengekommen ist. Sehr bewegend.
Funkensprühende Showtime
Neben diesen differenzierten Figurenzeichnungen wird natürlich auch für funkensprühende Showtime gesorgt. Im Zentrum: Die österreichische Musicalsängerin Nina Weiß als so aufgekratzte wie glamouröse Filmdiva Janice Dayton, darstellerisch, singend, tanzend in Perfektion. Gleichzeitig ein Charakter mit unterschiedlichen Facetten, der sensible Seiten zeigt. Dafür begleitet sich Nina Weiß bei einem Song sogar selbst mit der Ukulele.
Graz im Musical-Glück
Was wäre Musical ohne Tanz? Das agile Ballett Graz scheint alles zu können, von glitzernder Broadway-Las-Vegas-Extravaganz in bauchfreien Napoleonkostümen bis zu Rock’n’Roll in der Kolchose. Auch der wie immer hochpräsente Chor der Oper Graz beweist federnden Tanzschwung. Die drei Sowjetagenten konnten deshalb auch mit den Chormitgliedern Markus Murke, Falk Witzurke und Christian Scherler besetzt werden, die ein überzeugendes Slapstick-Trio abgeben. Musikalisch fasziniert die Produktion mit den Grazer Philharmonikern im sprühenden, eleganten Bigband-Sound, mit knackigen Bläsern, flirrenden Streichern und einer gut geölten Rhythmussektion, das Ganze geleitet vom erfahrenen Musical-Experten Koen Schoots.
Ein Gewinn sind die zusätzlich eingebauten Nummern, darunter die Cole-Porter-Evergreens „I Love Paris“ und „I Get a Kick Out of You“ als All-Star-Finale. Und selbst die in der Handlung vielbeschworene „Ode an den Traktor“ erklingt in Graz – tatsächlich als Eigenkomposition von Michael Großschädl, der den Komponisten Boroff als großes, verwundertes Kind gibt. Insgesamt eine ambitionierte Wiederbelebung von „Silk Stockings“: Graz im Musical-Glück.
Oper Graz
Cole Porter: Silk Stockings
Koen Schoots (Leitung), Max Hopp (Regie), Martina Borroni (Choreographie), Marie Caroline Rössle (Ausstattung), Sebastian Alphons (Licht), Georgi Mladenov (Chor), Natalia Mateo, Nina Weiß, Michael Rotschopf, Michael Großschädl, János Mischuretz, Chor der Oper Graz, Grazer Philharmoniker, Ballett Graz, Statisterie der Oper Graz
Mi, 18. Dezember 2024 19:30 Uhr
Porter: Silk Stockings
Max Hopp (Regie)
Do, 19. Dezember 2024 19:30 Uhr
Porter: Silk Stockings
Max Hopp (Regie)
Sa, 21. Dezember 2024 19:30 Uhr
Porter: Silk Stockings
Max Hopp (Regie)
Di, 31. Dezember 2024 18:00 Uhr
Porter: Silk Stockings
Max Hopp (Regie)
So, 12. Jänner 2025 15:00 Uhr
Porter: Silk Stockings
Max Hopp (Regie)