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Opern-Kritik: Bregenz – Die Zauberflöte/Geschichten aus dem Wiener Wald

Rosenkavalier reloaded

(Bregenz, 3. August 2014) Die Bregenzer Festspiele unter ihrem scheidenden Intendanten David Poutney glänzen – mit Mozart und einer grandiosen Uraufführung

vonPeter Krause,

Jammerschade. Wer nur zu den Festspielen nach Bregenz kommt, die Premieren goutiert und abhakt, dann alsbald weiterzieht zum Marktführer nach Salzburg oder der deutschen Konkurrenz nah Bayreuth, der verpasst viel. Denn der Bodensee ist Urlaubsland. Er lässt sich durchschwimmen, umwandern und umradeln, besegeln und mit Motorkraft beschippern. Dreieinig kluge Touristiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz jagen sich nicht einfach gegenseitig die Gäste ab, sondern setzen auf Synergien. Bestes Beispiel: Auf dem Fahrradweg lässt sich der See schlagbaumfrei umrunden, die gemeinsame Radelkarte empfiehlt passende Herbergen am Wegesrand.

Augenoper zum Staunen für Jung und Alt

Wenn am Ufer von Bregenz dann aber Natur auf Kultur trifft, fügen sich die Faktoren der perfekten Sommerfrische noch trefflicher als bei den Nachbarn. Die Schwelle des Übergangs vom Baden im See, übers Camping am See bis zum Spiel auf dem See ist so niedrigschwellig und noch dazu familienkompatibel, dass man hier einmal problemlos von der „Hochkultur für alle“ schwärmen mag. Der sehr britische Intendant des österreichischen Festivals versöhnt in seiner Inszenierung der Zauberflöte fürwahr Klasse und Kasse. David Poutneys Mozart-Inszenierung ist 29 Mal ausverkauft. Auch wenn der Stuntman-Aktionismus und die allfällig über dem Bodensee aufsteigenden Feuersblitze bald effektvoll verpuffen, ist sein Opern-Spektakel ein starkes volksnahes Vergnügen, ein prächtiges Augentheater zum Staunen für Jung, Mittel und Alt.

Ganz konzeptfrei ist Pountneys Arbeit dabei nicht: Sein Sarastro ist, wie es sich im Regietheater gehört, keineswegs der allein tugendreiche Freimaurer-Chef, sondern ein doppelzüngiger Despot, der seinen schwarzen Diener Monostatos auf offener Bühne auspeitschen lässt und zeitgleich die eigene Moral preist. Dass der pausenlos gegebene Abend ein paar Kürzungen am Original aufweist, ist an sich kein Problem. Dass Pountney dem Sarastro ausgerechnet die erste Strophe seiner Arie „In dieses heil’gen Hallen“ streicht, geht dramaturgisch aber gar nicht. So geht der Bezug von der rachelüstern koloraturenfauchenden Königin der Nacht zum ach so weisen Herrscher, der die Rache gar nicht kennt, prompt verloren.

Pountneys Populismus

Absolute interpretatorische Gültigkeit behauptet David Pountney wohl auch gar nicht, wenn er zum Abschied seiner elfjährigen Intendanz auf Mozart setzt. Und doch kann er sich klar auf Schikaneder und Mozart berufen, buhlten die Werkschöpfer im Nachgang der Wiener Kasperl- und Zauberoper doch dezidiert um die Gunst des zahlenden Publikums. Dabei ist Pountneys Populismus ein kluger und weitsichtiger. Denn triumphal schafft der Festspielleiter es, das Populäre mit dem Radikalen und Gewagten zu verbinden. „Es war meine Absicht, unserem loyalen Publikum, das großteils aus Nicht-Experten besteht, das Gefühl zu geben, dass es das Normalste der Welt ist, in eine neukomponierte Oper zu gehen.“ Die jetzt aus der Taufe gehobene Oper Geschichten aus dem Wiener Wald setzt Poutneys Ziel mustergültig in die Tat um.

Neues Musiktheater darf Spaß machen: Es walzert wieder in der Oper

Der österreichische Universalmusiker HK Gruber, der selbst am Pult der hingebungsvollen Wiener Symphoniker stand, hat auf Ödön von Horváths gleichnamiges Schauspiel ein tragikomisches Opus ersonnen, das als ein heißer Kandidat für die „Uraufführung des Jahres“ gelten darf. Virtuos und witzig, lukullisch und frech walzert es wieder in einer Oper, im Geiste eines Kurt Weill nur natürlich viel bissig verfremdungsfroher, als es sich Richard Strauss in seinem Rosenkavalier, geschweige denn Walzerkönig Johann Strauß einst erlauben durften. Mit der Wiedergeburt des Ochs auf Lerchenau in der Partie des Zauberkönigs hat Gruber für Prachtbass Albert Pesendorfer eine neue Paraderolle ersonnen. Auch Anja Silja –immer noch umwerfend sopranbebend und zum Bersten intensiv –  als bigotte Großmutter und Angelika Kirchschlager – mit dem beträchtlichen Mezzocharme eines einstigen Octavian – als reifes Liebesluder Valerie geben diesem Rosenkavalier reloaded messerscharfes Profil.

Uraufführung des Jahres?

Die „Geschichten“ kreisen um die Kleinbürgerbraut Marianne, die sich gegen den von ihrem Vater auserkorenen Gatten, den gewichtigen Fleischhauer Oskar, zugunsten des Filous Alfred entscheidet, der sie schwängert und sitzenlässt, woraufhin sie von der Wiener Gesellschaft nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht wird. Horváths bitterböse Vorlage nutzen der regieführende Librettist Michael Sturminger und HK Gruber für ihre köstliche Gesellschaftssatire mit Musik. Bewährte Zutaten sind die absurditätssteigernden Textwiederholungen und das Laune machende Plapperparlando der Opera Buffa eines Rossini, authentizitätsdienliche Dialekteinsprengsel wie bei Strauss, präzise gezeichnete, eben immer nur fast überzeichnete Charaktere und Bombenrollen oder ein das Parodiepotenzial anheizendes verstimmtes Klavier wie bei Weill.

Wenn HK Gruber nicht nur schön schräge, sondern auch richtig schöne Melodien schreibt oder ehrerbietig aus dem Humus der Tradition schöpfend bei Puccini abschreibt, dann klingt diese in jedem Takt Schmunzeln machende Partitur doch nie nach der Anbiederung des plumpen Gefallenwollens, sondern nach genialisch ausbalancierter Doppelbödigkeit – nach dekonstruktionssanft dem V-Effekt unterworfener richtiger Musik zu dieser Geschichte des falschen Lebens, dessen Protagonisten sich dennoch wie eh und je nach Inseln des wahren Lebens sehnen. Die zum Beispiel an der schönen blauen Donau liegen, wo’s sich so trefflich lieben lässt.

Zum Glück wird diese grandiose Oper im März 2015 gleichsam heimkehren, um im Theater an der Wien nicht nur für Amüsement zu sorgen, sondern auch, um den einen oder anderen Wiener „not amused“ nach Hause zu schicken: Dann säße Poutneys Festivalmotto „Wien zartbitter“ so richtig – als lustvoll vom Bodensee in die Hauptstadt ausgeteilter Seitenhieb.

Bregenz

Mozart: Die Zauberflöte / Gruber: Geschichten aus dem Wiener Wald

Ausführende (Zauberflöte): Patrick Summers (Leitung), David Pountney (Inszenierung), Alfred Reiter, Nikolai Schukoff, Kathryn Lewek, Anja-Nina Bahrmann, Paul Armin Edelmann, Susanne Grosssteiner, Martin Koch, (Geschichten aus dem Wiener Wald): HK Gruber (Leitung), Michael Sturminger (Inszenierung), Ilse Eerens, Daniel Schmutzhard, Jörg Schneider, Angelika Kirchschlager, Albert Pesendorfer, Anke Vondung, Anja Silja, Michael Laurenz, Wiener Symphoniker

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