Der Wolf ist ein Mysterium mit vielen Facetten, auch in der Musik. In Prokofjews berühmtem Musikmärchen für Kinder „Peter und der Wolf“ ist es die faszinierende Mischung aus finsterer Bedrohlichkeit und ehrfürchtiger Erhabenheit, die das charakteristische Hornmotiv so unverkennbar ertönen lässt. Zum Symbol von Kraft und Überlegenheit wird das Raubtier bei Wagner: „Wehrlich und stark war Wolfe“ heißt es in dessen „Walküre“. In Webers „Freischütz“ kommt Meister Isegrim zwar nicht direkt vor, doch allein der Name der schicksalhaften „Wolfsschlucht“ verbreitet hier Angst und Bange.
Leicht hatte es der Wolf in der Geschichte nie. Von den Menschen aus Angst gejagt und verteufelt, wurde er bald zu einer Allegorie des Bösen, ein verhasster Außenseiter, immer gierig, immer auf der Suche nach unschuldigen Opfern. Das schlechte Image, das ihm Rotkäppchen, die sieben Geißlein, die drei kleinen Schweinchen und noch sehr viele andere über die Jahrhunderte verpassten, ist aus dem Bewusstsein der Gesellschaft nie ganz verschwunden.
In Europa für lange Zeit fast ausgerottet, kehrt der Wolf nun seit einigen Jahren allmählich in die heimischen Gefilde zurück. Allein in Mecklenburg-Vorpommern leben heute wieder fünfzehn wilde Rudel, und das sorgt aktuell für heftige Debatten, die genügend politischen wie emotionalen Zündstoff für eine ganze Opernhandlung bieten: Die dokumentarische Naturoper „Wölfe“ wartet im Rahmen der Schlossfestspiele am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin auf ihre Uraufführung.
Nina Gühlstorff, Hausregisseurin für Öffnungsprojekte, hat bereits viel dokumentarisches Sprechtheater inszeniert und versucht, diese Idee nun auf die Opernbühne zu übertragen. Ihr Libretto hat sie aus zahlreichen Interviews mit Teilnehmenden des vor allem im ländlichen Raum stets allgegenwärtigen Diskurses rund um das Thema Wolf und den fraglichen Umgang mit dessen Anwesenheit zusammengestellt. Die Stimmen der einzelnen Rollen, darunter eine Schäferin, ein Politiker, eine Aktivistin, ein Jäger, eine Forscherin, sind also authentisch und beleuchten das Geschehen aus den verschiedensten realen Perspektiven, werden jedoch auch mit den wölfischen Mythen und Volksmärchen in Verbindung gebracht.
Chance für neuartige Kunstformen
„Durch all diese Erzählungen und Geschichten erscheint uns der Wolf gefährlicher, als er eigentlich ist“, erklärt Gühlstorff. „Ich glaube, dass der Wolf auch ein Symbol dafür ist, dass wir es nicht so gut ertragen können, wenn die Natur auch mal über uns bestimmt und nicht umgekehrt.“ Gerade die fragliche Bejagung des Wolfs sorgt immer wieder für politische Streitigkeiten und Uneinigkeit zwischen Naturschützern und besorgten Weidetierhaltern und beschäftigt viele Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. Doch genau in dieser thematischen Greifbarkeit sieht Gühlstorff eine Chance für neuartige Kunstformen wie die Naturoper: „Ich hoffe sehr, dass durch die Aktualität und den regionalen Bezug mehr Menschen einen Anreiz bekommen, sich auch auf zeitgenössisches Musiktheater einzulassen.“
Mit der musikalischen Ausstattung der Oper wurde die Komponistin Helena Tulve beauftragt. Die Estin ist vor allem für ihre spektrale, von naturhaften Klängen inspirierte Tonsprache bekannt. In „Wölfe“ versetzen atmosphärische Natursounds in Kombination mit orchestralen Klangräumen das Publikum in die Tiefen des Waldes – das musikalische Heulen des Wolfes ertönt dabei natürlich auch unter kompositorischem Einsatz des sogenannten Wolftons, einem unsauberen, flackernd-flimmernd heulenden Streicherton – der normalerweise beim Spiel meist vermieden werden will.