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Porträt Abel Selaocoe

Der Universalmusiker

Abel Selaocoe ist Cellist. Und Sänger. Außerdem Stimmakrobat, Gastgeber, Kammermusiker und Bandleader.

vonSusanne Bánhidai,

„Ich bin nicht hier, um die Klassikwelt zu verändern.“ Doch Abel Selaocoe, der sein Solistendiplom erst vor einigen Jahren am Royal ­Northern College of Music in Manchester ablegte, fordert nicht nur mehr Flexibilität und Offenheit im Klassikbetrieb, er verkörpert sie auch. Gern spricht er viel, aber niemals unüberlegt. Sehr oft benutzt er das Wort „schön”, dessen Erhabenheit im Deutschen ein bisschen verlorengegangen sein mag. „Beautiful“ klingt erhabener. Auf diese Weise, innig und virtuos, spielt er auch sein Cello, eine Domenico-Montagna-Kopie. Abel Selaocoe lässt sein Publikum aber nie in einer Komfortzone. Er lädt ein, Neues zu entdecken, ungehörte Verbindungen zwischen Barock­musik und den vielen Strömungen seines Heimatkontinents Afrika.

Aufbegehren mit Bach

In einem Township nahe ­Johannesburg die Liebe für ein Violoncello und Johann Sebastian Bach zu entdecken, hört sich zunächst nicht selbstverständlich an. Zu Zeiten der Apartheid war es dort jedoch eine Art des Aufbegehrens, Ballett, Rugby oder klassische Musik zu machen – weil diese Aktivitäten als rein menschlich klassifiziert wurden, unabhängig von der Hautfarbe der Ausführenden. Abel Selaocoe besuchte die Schule, die von Michael Masote geleitet wurde, einer prägenden Gestalt für klassische Musik in Afrika. „Er ist die größte Inspiration in meinem Leben. Seinem Weg zu folgen, fühlte sich völlig natürlich an. Ich hatte nie das Gefühl, Musik zu lernen, die von weit her kommt, sondern ich fand diese Musik immer in mir selbst.“

Der Vereinnahmung der klassischen Musik durch die Kultur, die sie erschaffen hat, stellt er sich mit reiner Logik entgegen: „Musik ist im Äther und jeder kann sie sich nehmen.“ Das funktioniert natürlich auch umgekehrt, und so wünscht er sich nun, dass der Klang afrikanischer Musik, die Instrumente und Skalen von dort, Teil der westlichen Kultursprache werden. Er selbst ist stets auf der Suche nach neuen Klängen seines Streichinstruments, imitiert die eritreische Geige mit ihrem Obertonreichtum oder versucht, wie eine Gimbri, eine dreisaitige Laute, zu klingen.

Die Stimme als Zweitinstrument

Die Wahl für das Violoncello hat viel mit seinem Bruder zu tun, der Fagott spielt. „Darauf kann man sowohl tiefe Töne spielen als auch herrlich in die Höhen klettern. Ich denke, das wünschte er sich ebenso für mich!“ Eine weise Wahl, denn Abel Selaocoe kann singen, während er sein Instrument spielt. Seine Stimme ist ein weiterer, wichtiger Kanal für seinen Ausdruck geworden. Er benutzt sie lyrisch und perkussiv zugleich, zusammen verschmelzen Mensch und Instrument zu einer Art „voice box“. Die Einflüsse seiner Sangeskunst liegen unüberhörbar in seiner afrikanischen Familie, seinem Zuhause, vor allem im Gesang spiritueller Heiler und Heilerinnen, wie seine Tante eine war.

Konzerte mit ihm sind ein Happening, denn er bricht den unsichtbaren Wall zwischen Publikum und Bühne mit unterhaltsamen Ansprachen und macht deutlich: Wir sind hier, um gemeinsam die Tradition zu gestalten und interkulturellen Begegnungen mehr Raum zu geben, auch durch Zuhören. Auch wenn er die wichtigste Person des Abends ist, tritt er, wenn es die Musik erfordert, gänzlich aus dem Rampenlicht heraus. Als Leiter eines Ensembles weiß er, wann es Zeit ist, die anderen ins rechte Licht zu setzen. Sekunden später integriert er sich als Primus inter Pares in das Streichquartett. In diesem enormen Spektrum an Möglichkeiten kollaboriert Abel Selaocoe mit sehr unterschiedlichen Gruppen wie dem Manchester Collective, dem Bantu Ensemble oder manchmal auch mit einem klassischen Klavierbegleiter. Er hat ein großes Herz für fast alle Genres der klassischen Musik. Zu den Lieblingen seiner häuslichen Sammlung inklusive Vinyl-Anteil gehören Ravel und Ligeti ebenso wie Mahler und Bruckner, und – als Opern­ersatz – Bach-Passionen. Die Frage nach seiner musikalischen Entwicklung scheint trotz aller Neugier klar zu sein: „Ich möchte sehr viel klassische Musik spielen – das ist mein Zuhause.“

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