Das Register der Auftrittsorte liest sich kurios: Auf Florenz folgt Liebertwolkwitz, ein kleiner Stadtteil von Leipzig, auf die Carnegie Hall eine Dorfkirche im sächsischen Dohna. Dem Ensemble amarcord bricht da kein Zacken aus der Krone, es pflegt trotz seiner internationalen Erfolge und auch nach dem zweiten Echo Klassik eine geradezu demokratische Konzertpolitik: Es gibt kein besseres und kein schlechteres Publikum für ein Vokalquintett. Hauptsache, die Zuhörer erweisen sich als neugierig und begeisterungsfähig.
Leipzig: Mekka der A-cappella-Szene
Die fünf dem Leipziger Thomanerchor entwachsenen Herren unterschiedlichster Generationen, deren Kern schon vor über 20 Jahren zusammenschmolz, werden besonders für ihre Vielseitigkeit geschätzt. Scheinbar mühelos bewegen sie sich durch alle musikalischen Zeitalter, überspringen Genregrenzen wie Spielzeugzäune, finden verstaubte Literatur und bringen sie zur Blüte, sammeln Preise wie Pilze – und sind doch auf dem Boden geblieben: durchaus selbstkritisch, uneitel, aufmerksam.
Die Leipziger haben 1997 ein eigenes A-cappella-Festival in ihrer Heimat gegründet, wo sich seitdem die Crème de la Crème der internationalen Vokalszene trifft, sie nehmen eine um die andere CD unter ihrem eigenen Label auf – mehr als 20 sind es inzwischen geworden – und sie forschen nach immer neuen Herausforderungen. Die lauern überall zwischen Monteverdis „Marienvesper“ und modernen Uraufführungen, die das Quintett immer wieder von bedeutenden Zeitgenossen einwirbt und auf den Leib geschneidert bekommt. Aufgetreten sind sie schon fast überall – vom mecklenburgischen Rinderstall bis zur Oper Sydney. Es ist eine Mischkalkulation: Gerade bedeutende Festivals der Alten Musik huldigen nur allzu oft der stolzen Ehre. Für Musiker, die von ihrem Beruf leben müssen, lohnen sie sich selten. Abwägen ist gefragt.
Das fünfte Rad am Wagen? Von wegen!
Dass ein Vokalensemble aufeinander eingehört ist, nach absoluter Homogenität strebt, ist nichts Besonderes, auch wenn dieses Ziel beileibe nicht jeder Konkurrent erreicht. Dass es technisch makellos agiert, ist schon nicht mehr ganz so häufig. Aber dass ein Männerquintett derart reflektiert hinter dem steht, was es singt, das ist doch im Zeitalter der synthetischen Musikmaschinerie rar, ja einmalig. Es kann keinen Plastikklang geben; hier muss nichts gefallen, und genau diese ganz natürliche Selbstgenügsamkeit macht das Ensemble so sympathisch. Die manchmal regelrecht abseitigen, nichtsdestoweniger durchaus populären Programme werden nicht marktgerecht zurechtgebogen, sie erklären sich durch die absolute Stringenz bei der Interpretation, so als bildeten fünf Organe einen einzigen Korpus.
Tatsächlich ist beim Ensemble amarcord jeder einzelne Sänger stets für etwas anders zuständig: mal für das Programm, mal für die Textausdeutung, mal für die Stimmtechnik. „Das wird nicht verordnet, da findet sich jeder in seine Lieblingsrolle“, sagt Gründungsmitglied Holger Krause. „Bei neuen Stücken prüfen wir jedes Mal: Steht uns das, haben wir einen Zugang? Und dann ist es erstaunlich, dass wir uns immer relativ schnell einig sind, wir spüren die Passgenauigkeit alle miteinander.“ Ihren solistischen Ambitionen dürfen die Mitglieder nach Absprache folgen, weil sie davon neue Erfahrungen mitbringen. Krause gehört zu den ältesten amarcordianern, von denen nur zwei wirklich studierte Sänger sind. Mit Robert Pohlers kam soeben ein Neuling frisch aus dem Thomanerchor hinzu – mit gerade einmal 19 Jahren. „Wir haben uns lange Zeit gelassen für die Nachbesetzung unseres zweiten Tenors, und er hat uns überzeugt mit seiner musikalischen Haltung, außerdem hat er Stallgeruch“, lächelt Holger Krause.