Manchmal kommt es eben doch ganz anders als gedacht: Als Anneleen Lenaerts mit neun Jahren zum allerersten Mal eine Harfe vorgesetzt bekam, war sie alles andere als begeistert. Nachdem sie nun schon mit dem Klavierunterricht begonnen hatte, wollte sie doch als nächstes eigentlich ein handliches Blasinstrument lernen. Vielleicht Oboe oder Klarinette. Stattdessen gab man ihr dieses sperrige, vielsaitige Monstrum an die Hand, über das sie zu jenem Zeitpunkt so gar nichts wusste, außer dass man vom Spielen Hornhaut an den Fingern bekommt. Aber der Dirigent des städtischen Orchesters in ihrer flandrischen Heimat wollte nun mal unbedingt eine Harfe in seinem Ensemble haben – zum Glück, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte. Denn natürlich übertrumpfte schon bald die Faszination für das Instrument die anfängliche Skepsis, und schnell entwickelte sich die junge Belgierin zu einer Meisterin des Harfenfachs. Es war eben Liebe auf den zweiten Blick. Heute gehört Anneleen Lenaerts zur absoluten Weltspitze, hat zahlreiche internationale Wettbewerbe gewonnen und wurde kürzlich sogar vom Belgischen König Philippe zum „Kommandeur des Kronenordens“ ernannt.
Dass sie 2010 mit gerade einmal 22 Jahren als Solo-Harfenistin in den Dienst der Wiener Philharmoniker gestellt wurde – und damit als eine der wenigen Frauen überhaupt in den erlauchten Mitgliederkreis des traditionsbehafteten Orchesters aufgenommen wurde –, verdankt die heute 35-Jährige nicht nur ihrem herausragenden Instrumentalkönnen, sondern auch – wieder einmal – dem Zufall. Denn eigentlich wollte Lenaerts nie in einem Orchester spielen: „Es lief nach dem Studium gut mit Soloauftritten und Kammermusik, ich war völlig zufrieden damit“, erklärt sie ein wenig verlegen. Xavier de Maistre, selbst lange Zeit Solo-Harfenist bei den Wienern, war es schließlich, der Lenaerts auf seinen dortigen Abgang und das resultierende Probespiel für den Posten aufmerksam machte. Prompt wurde sie als Nachfolgerin ausgewählt und bekleidet das Amt nun seit rund zwölf Jahren. „Ich bin einfach nur unheimlich glücklich und dankbar über die vielen Chancen, die ich bis heute bekommen habe“, erklärt Lenaerts, denn einen festen Plan habe sie nie gehabt.