Am Anfang war der Chor, zumindest bei vielen Meistern aus der Szene der Alten Musik. So gründete John Eliot Gardiner 1964 den legendären Monteverdi Choir, bevor dann ein paar Jahre später das passende Orchester folgte. Ebenso Philippe Herreweghe: 1970 formierte er das Collegium Vocale Gent, sein Originalinstrumente-Orchester kam deutlich später. Ähnlich bei Roger Norrington. Im Falle von Thomas Hengelbrock nun kann man einwenden, dass er 1985 bereits bei der Gründung des Freiburger Barockorchesters beteiligt war, aber sein erstes wirklich eigenes Projekt wurde dann erst der Balthasar-Neumann-Chor: 1991 stellte Hengelbrock, bis dahin vor allem als Geiger und Orchesterdirigent aktiv, ein handverlesenes Vokalensemble zusammen, dem bald der Ruf eines „vokalen Wunderinstruments“ – so die Worte der Kölnischen Rundschau – anhing.
Erst vier Jahre später gruppierte sich mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble ein entsprechendes Orchester um den Chor. Warum Balthasar Neumann? Durch seine Beschäftigung mit dem Baustil des Barockarchitekten während seiner Würzburger Studienzeit sei ihm klar geworden, „wie viel architektonisches Denken in Musik steckt“, sagt Hengelbrock. „Als es dann darum ging, einen Namen für die Ensembles zu finden, haben wir ganz bewusst keinen Komponistennamen gewählt, das traf nicht den Kern unseres musikalischen Denkens. Wir strebten – im neumannschen Sinne – eine Zusammenführung der verschiedenen Künste in einem Werk an.“
Vom geschickt gesetzten Effekt bis zur Inszenierung
Und die Künste wurden zusammengeführt, auf mitunter spektakuläre Weise. Da gab es etwa ein Konzertprojekt um das Thema Melancholie, bei dem den Choristen dunkle Augenringe angeschminkt waren für die tiefschwarze Musik von Dowland, Morley, Gibbons und Purcell. Und es gab das Gegenteil dazu, italienische Karnevalsmusiken des 17. Jahrhunderts, ein komödiantisches Treiben der ausgelassensten Art. Wenn der Balthasar-Neumann-Chor auftritt und es passt, wird inszeniert. Das kann großes Theater sein oder mitunter auch nur ein geschickt gesetzter Effekt, etwa wenn sich bei Monteverdis „Marienvesper“ die Sänger um 180 Grad drehen für eine puristische Echowirkung.
Für eine solche „Marienvesper“ reicht mitunter ein Doppelchor aus zwei mal sechs Stimmen, für eine Haydn-„Schöpfung“ treten 25 Sängerinnen und Sänger an, für eine Bruckner-Messe, wie kürzlich im Münster von Basel, können es auch schon einmal 50 werden. Der Chor ist flexibel – auch in der Größe. Was bei seinen Auftritten dabei ein Erlebnis ist: Oft kommen Balthasar-Neumann-Konzerte ohne Vokalsolisten aus, die Choristen übernehmen diese Funktion gleich mit. Das wirkt homogen und organisch und ist klanglich kein Nachteil.
Balthasar-Neumann-Chor: Exzellente Vokalisten
Mit Dorothee Mields, Jürgen Banholzer, Heike Heilmann, Tanya Aspelmeier, Hans-Jürgen Mammel oder Marek Rzepka hatte oder hat der Balthasar-Neumann-Chor exzellente Vokalisten mit Solistenqualität in seinen Reihen. Auch international wird das längst gewürdigt. 2010 wurde einer CD-Aufnahme mit Chorwerken von Zelenka, Lotti und Bach der Gramophone Award in der Sparte „Baroque Vocal“ zuerkannt. Er sei eben „einer der besten Chöre der Welt“, so das britische Fachmagazin „Gramophone“.
Und die Engländer wissen, was gute Chöre sind! So ist auch das Lob des britischen Dirigenten Ivor Bolton ein ganz besonderes: „Das technische Niveau ist sehr hoch. Es gibt viele wunderbare Stimmen, die Chormitglieder besitzen eine große musikalische Intelligenz. Für uns in England ist der Monteverdi Choir von John Eliot Gardiner einer der weltbesten Kammerchöre. Ich halte den Balthasar-Neumann-Chor für den Monteverdi Choir Deutschlands.“
Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble singen und spielen Bach:
concerti-Tipp:
Marienvesper
Mi. 6.12., 20 Uhr
Mitwirkende: Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble, Thomas Hengelbrock (Leitung)
Ort: Laeiszhalle (Großer Saal), Hamburg