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Porträt Barbara Hannigan

Selbst zum Klang werden

Als Sopranistin wird Barbara Hannigan auf den Bühnen aller Welt gefeiert. Doch seit einigen Jahren greift die Kanadierin auch zum Taktstock

vonChristina Bauer,

Elfenhafte Gesichtszüge, grazile Bewegungen – doch der erste Eindruck täuscht: Barbara Hannigan ist mitnichten eine Fee, vielmehr präsentiert sich die Sopranistin als detailverliebtes Arbeitstier. Selbst von Urlaub im klassischen Sinn hält die blonde Wilde rein gar nichts, allenfalls Teilzeit-Ferien kommen für die Kanadierin in Frage: Arbeiten bis nachmittags, dann zur Entspannung wandern, kochen oder Zeit mit der Familie verbringen. Wer mit fünf Jahren sicher sei, als Musikerin leben zu wollen und sich als Fünfzehnjährige für den klassischen Gesang entscheide, der gebe seinem Leben eben eine bestimmte Richtung: „Ich bin am glücklichsten, wenn ich mit Musikern oder einem Orchester zusammen bin, dann empfinde ich ein Gefühl der Freude.“

Kein Wunder, dass ihr Zuhause keinen festen Ort kennt, die zierliche Frau ob ihrer Konzertreisen vielmehr überall auf der Welt ein Gefühl von Heimat zu entwickeln vermag. „Das Reisen kann ermüdend sein, aber sobald ich an einem bestimmten Ort ankomme – sei es Berlin, Paris oder München – fühle ich mich rasch zuhause.“ Nicht umsonst mietet die Musikerin grundsätzlich Appartements an und meidet Hotels ebenso wie Restaurants. Und auch sonst habe sie von Läden bis zum Fitnessstudio in all den Städten immer gefunden, was es brauche, um sich daheim zu fühlen – und entspannt mit namhaften Dirigenten wie Andris Nelsons, Esa-Pekka Salonen und Sir Simon Rattle zu arbeiten oder den internationalen Spitzen-Orchestern in Berlin, München und London.

 Favoritenliste: Hannigan weiß genau, wen und was sie will

Begegnungen und Kooperationen, die Hannigan nicht dem Zufall überlassen hat: „Seit einigen Jahren führe ich eine Art Wunschliste, auf der sich nicht nur Rollen und Repertoire finden, sondern auch Künstler, mit denen ich gern arbeiten würde, Regisseure, Choreografen, Filmemacher, Fotografen – eine ganze Welt.“ Und so manches Mal hat sie dabei sogar selbst die Initiative ergriffen, wenn es um die Realisierung ging. Mittlerweile sei diese Liste allerdings bereits so kurz geworden, dass ihr Fokus sich seit einiger Zeit auf Weltpremieren richtet. Mag dabei ihre große Leidenschaft auch starken, emotional intensiven Frauenrollen gelten – wie etwa die lang ersehnte Titelrolle in Bergs Lulu oder die Marie in Zimmermanns Soldaten – letztlich, so Hannigan, finde sie in jeder Rolle ihre Stärke und eine eigene Stimme. Denn die Primadonna will ihre Figuren nicht nur mögen, sie will sie lieben, verehren, leben. „Für mich wird eine Rolle zu einem Teil meines eigenen Körpers, meines Selbst“, erzählt die im ländlichen Waverly aufgewachsene Sängerin. „Das bedeutet sehr viel mehr als nur die Noten zu singen oder die Worte auszusprechen: Ich bin in einer engen Beziehung mit diesen Figuren und ihren Persönlichkeiten, und ich bewundere sie immer sehr.“ Was stets auch Abschiedsschmerz bedeute: Bei Lulu etwa habe dieser fast eineinhalb Jahre gedauert …

 Schweigen am Pult? Gar nicht so einfach für eine Sängerin

Eine Intensität, die ihr in den letzten Jahren zahlreiche Auszeichnungen eingebracht hat – und sie auch das Dirigieren erkunden ließen: Seit ihrem Debut 2011 stand Hannigan bereits mehrmals als singende Dirigentin auf der Bühne. Eine komplizierte Doppelfunktion? Nein, denn die Musiker lernten in den Proben rasch, mehr Mitverantwortung zu übernehmen; für sie selbst aber biete das Dirigat neben neuen Erfahrungen auch die Aussicht, nach ihrer Gesangskarriere weiter in der Musik tätig sein zu können. Allein an das Schweigen müsse sie sich dabei noch gewöhnen: „Für mich fühlt es sich noch immer nicht ganz normal an, nur zu dirigieren, da ich keinen Klang erzeuge – und so suche ich auch im Dirigieren nicht nur die Geste, sondern versuche, selbst dieser Klang zu werden.“

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