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PORTRÄT BELCEA QUARTET

Arbeit am heiligen Gral

Das Belcea Quartet pflegt ein breites und ungewöhnliches Repertoire. In Hamburg aber konzentriert es sich auf den Kern und spielt diese Saison sämtliche Beethoven-Streichquartette in der Laeiszhalle

vonJörg Hillebrand,

London 1994. Vier Studenten des Royal College of Music wissen, was sie wollen: Sie wollen nicht ins Orchester, wollen aber auch keine Solisten werden. Die Kammermusik hat es ihnen angetan, das Streichquartett genauer gesagt, jene musikalische Unterhaltung vier vernünftiger Leute, als die Goethe die Königsdisziplin bezeichnet hat. Sie gründen eine Formation, die sich in alter Tradition nach dem Primarius benennt, der Primaria in diesem Falle: Corina Belcea. Das Belcea Quartet sucht den Rat erfahrener Ensembles, nimmt Unterricht beim Chiligirian-, Amadeus- und Alban-Berg-Quartett. Heute geben die vier Musiker selbst ihre Erfahrung an jüngere weiter: Seit 2006 lehren sie an der Guildhall School of Music and Drama.

Das Belcea Quartet nimmt exklusiv für EMI Classics auf und erhielt 2001 den Gramophone Award für das beste Debüt. Auf seiner Diskographie stehen Mozart, Schubert, Brahms und als jüngste Einspielung der komplette Bartók, der mit dem Echo Klassik ausgezeichnet wurde. Das bestverkaufte Produkt ist jedoch eines, das die Plattenfirma zuerst gar nicht haben wollte, weil nicht Erfolg versprechend genug: eine Doppel-CD mit Streichquartetten von Benjamin Britten.

Was das Repertoire des Belcea aber wirklich von dem anderer Quartette unterscheidet, sind die zahlreichen Werke mit Gesang: Faurés La bonne chanson, Respighis Il tramonto, Bearbeitungen von Mahlers Wunderhorn-Liedern, Schönbergs zweites Streichquartett (Stefan George: „Ich fühle luft von anderem planeten“), ein Auftragswerk von Joseph Phibbs. „Diese Stücke geben uns endlich auch einmal die Möglichkeit, mit Texten zu arbeiten“, sagt Axel Schacher, der zweite Geiger. „Wir erzählen eine Geschichte. Abgesehen davon orientieren wir uns mit unserer Klangvorstellung auch bei reiner Instrumentalmusik immer an der menschlichen Stimme.“

Von 2001 bis 2006 waren die vier Belceas Artists in Residence in der Londoner Wigmore Hall, einer der Kammermusikhochburgen auf diesem Planeten. „Der Saal war fünf Jahre lang unsere Heimat“, schwärmt Corina Belcea noch heute. „Wenn wir in London spielten, war das immer wie ein Nachhausekommen.“ Ein Nachhausekommen im eigentlichen Sinne war für die gebürtige Rumänin jedoch erst die Residenz im Bukarester Atheneum, die gleich im Anschluss begann und bis heute fortdauert. Und seit dieser Saison hat das Quartett nun auch eine Heimat in Deutschland: Im kleinen Saal der Hamburger Laeiszhalle spielt es, ebenso wie in London, Liverpool und Gateshead, sämtliche Streichquartette Ludwig van Beethovens.

In jedem Konzert erklingt ein frühes, ein mittleres und ein spätes Quartett. Nur bei der Schubertiade in Schwarzenberg wird der Werkkomplex in chronologischer Reihenfolge zu hören sein. Dennoch kann man auch bei den auf ein Jahr verteilten Konzertreihen „anhand der Streichquartette Beethovens Leben nachvollziehen“, meint Axel Schacher. „Wir bauen gemeinsam mit dem Publikum etwas auf“, ergänzt Corina Belcea. „Beethovens Quartette sind das Endziel jedes Streichquartetts.“ Schacher wiederum: „Sie sind der heilige Gral.“

Dass die größte Herausforderung dabei in den Spätwerken liegt, ist den Musikern natürlich voll und ganz bewusst. „Charakter- und Tempowechsel begegnen hier häufig innerhalb einer und derselben Phrase“, betont Schacher, weiß aber auch, dass die Schwierigkeiten beileibe nicht nur technischer Art sind: „Beethovens späte Quartette sind wie moderne Kunst: Ab einem bestimmten Punkt muss man den Ehrgeiz aufgeben, sie verstehen zu wollen.“

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