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Porträt Borodin Quartett

„Wir sind kein Quartett von gestern!“

Zurück zu den Wurzeln: Zu seinem 70. Geburtstag startet das Moskauer Borodin Quartett einen neuen Schostakowitsch-Zyklus

vonStefan Schickhaus,

Eigenartige Rubriken führt das Guinness-Buch der Rekorde für Musiker im Angebot. Aktuell ist etwa Shakira „die Person mit den meisten Facebook Likes“ und Justin Bieber der „jüngste Solokünstler, der fünf Nummer-eins-Alben in den USA hat“. Vergleichsweise bieder, aber dafür wirklich bemerkenswert klingt da der Eintrag zum Moskauer Borodin Quartett: Es ist das älteste aktive Kammermusikensemble – offiziell ins Rekorde-Buch aufgenommen bereits 1995.

Heute, 20 Jahre später, ist dieser Titel weiterhin ungefährdet: Sind doch die Musiker nach wie vor aktiv, ja sogar noch ein bisschen aktiver als in den vergangenen Jahren. Denn das Borodin Quartett, jenes legendäre, 1945 gegründete Streichquartett, feiert 2015 sein 70-jähriges Bestehen! Und tut eben das, was es seit Anbeginn so gut kann wie kaum ein anderes Ensemble: Es spielt die Quartette Dmitri Schostakowitschs, mit dem es einst diese Werke auch einstudiert hatte – pünktlich zum Jubiläum ist vor kurzem die erste Aufnahme einer neuen Gesamteinspielung erschienen.

Natürlich gleicht das Borodin Quartett des Jahres 2015 in seiner Besetzung auch nicht annähernd mehr jenem des Gründungsjahres: 2007 schied mit dem 82-jährigen Cellisten Walentin Berlinski das letzte Ursprungsmitglied aus. Und wer auf die anderen Pulte blickt, der mag im ersten Moment sogar den Eindruck eines sich rasch drehenden Personalkarussells haben; doch das täuscht: 70 Jahre sind einfach eine lange Zeit, Wechsel schon biologisch zwingend. Immerhin: Die beiden „ältesten“ aktuellen Mitglieder, der Bratscher Igor Naidin und Primgeiger Ruben Aharonian, sind bereits seit 1996 dabei, 2007 kam der Cellist Vladimir Balshin hinzu und 2011 wurde mit Sergei Lomovsky am zweiten Violinpult schließlich die aktuelle Besetzung komplettiert.

„Wir fühlen uns als ein Quartett mit einem großen Erbe“, sagt Balshin, angesprochen auf die große Borodin-Historie – wobei Naidin sogleich ergänzt: „Aber wir sind kein Quartett von gestern!“ Natürlich gelte es, die Tradition, die mit dem Namen Borodin Quartett verknüpft sei, fortzuführen: „Aber wir sind ein Quartett von heute und hoffentlich von morgen.“ Und schlägt dann die Brücke zu den Wiener Philharmonikern, mit denen das Ensemble gelegentlich verglichen wird: Ein Orchester mit enormer Tradition und Kontinuität, dessen Mitglieder ständig wechselten, aber dennoch immer im Geist der Wiener muszierten – „in diesem Sinne verstehen auch wir uns“.

Eine „Ehe zu viert“ – doch nur auf der Bühne

Was die Frage aufwirft, ob eben diese große Vergangenheit nicht manchmal auch eine Last sein kann? Schließlich waren die Ur-Borodins etwa noch ganz nah dran an Schostakowitsch, ist da der stete Vergleich mit den Referenz-Einspielungen früherer Jahrzehnte. Doch Naidin wehrt solche Gedanken souverän ab, spricht von allenfalls großem Gepäck, weit mehr indes von einem Privileg. „Das Wissen um die Schostakowitsch-Interpretation wurde ja immer innerhalb des Quartetts weitergegeben.“ Wobei sie natürlich nicht die früheren Mitglieder kopierten, betont Cellist Balshin: Jeder spiele seinen Part etwas anders, die Tempi würden variieren. Und überhaupt, fügt der Bratscher hinzu, seien die historischen Schostakowitsch-Interpretationen, die früh schon in einer Gesamteinspielung festgehalten wurden, keineswegs sakrosankt.

70 Jahre hinterlassen eben auch musikalisch ihre Spuren. Von „Gnadenhochzeit“ spricht da der Volksmund – doch so nahe wollen sich die Borodin-Musiker gar nicht sein. „Auf dem Podium bilden wir so etwas wie eine Ehe zu viert, aber nur dort – sonst wäre es etwas kompliziert“, erklärt der Bratscher schmunzelnd. „Wir verbringen viel Zeit miteinander, mehr als mit unseren eigenen Familien: Da ist es schwer, genau die Grenzlinie zwischen Kollege und Freund zu ziehen. Jedenfalls haben wir großen Respekt voreinander – und das ist das wichtigste.“

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