Nein, kein Countertenor, „das ist etwas völlig anderes!“ Auf diesem Faktum besteht Bruno de Sá mit Nachdruck. „Countertenöre kultivieren ihr Falsett als Kunststimme, um sich der weiblichen Tessitur anzunähern.“ Das sei nicht schlechter oder besser, „aber meine reale Stimme ist so hoch wie ein weiblicher Sopran, das klingt also anders“, erklärt der 33-Jährige. Nach seiner Kenntnis ist er einer von drei professionellen männlichen Sopranisten weltweit. Damit stellt der junge Brasilianer eine absolute Ausnahmeerscheinung in der Musikwelt dar.
Und trotzdem muss de Sá gleichzeitig darum kämpfen, eben genau diese Ausnahme nicht zu sein. Denn für Sopranrollen wird er selten angefragt – außerhalb der klassischen Barockopern, die früher ohnehin von Kastraten gesungen wurden. „Aber ich könnte genauso gut auch Frauenpartien anderer Jahrhunderte singen.“ Als vollkommen normal gilt seit jeher, dass Frauen Männer verkörpern, sogenannte „Hosenrollen“, weil sie eben für Frauen geschrieben sind. Umgekehrt ist das aber sehr ungewöhnlich.
Einfach Hosenrollen aus der Barockoper? Ein Trugschluss.
„Wenn wir über Oper nachdenken, denken wir über Musik, Emotionen, Botschaften nach, aber doch nicht über das Geschlecht der Sänger!“ Was Bruno de Sá dabei wütend macht, ist, wenn Leute Nein sagen, bevor sie ihm zuhören. „Sie können auch nicht in ein Restaurant gehen und das Essen schon ablehnen, bevor Sie es probiert haben.“ Dennoch sieht de Sá bereits Fortschritte in der Besetzungspolitik der Opernhäuser. „Das liegt aber auch daran, dass schon viele Leute vor mir dafür gekämpft haben.“ Die Reaktionen des Publikums reichen jedenfalls von albernem Lachen bis hin zu Begeisterungsstürmen. „Ich liebe sie alle.“
Dabei wäre es ein Trugschluss, dass de Sá ja dann einfach den Octavian aus dem „Rosenkavalier“, Hänsel oder Cherubino aus der „Hochzeit des Figaro“ singen könnte: „Diese Hosenrollen sind meist für Mezzosopran oder gar Alt gedacht, was mir einfach zu tief ist.“ Die Zuschreibung zu einem Stimmfach liege ohnehin meist nicht vordergründig in der Tessitur begründet, sondern in der Stimmfärbung. Zudem hätten die meisten Komponisten ihre Rollen für Sänger geschrieben, die sie gut kannten. „Für mich würden eher Cleopatra, Susanna oder Sophie passen. Warum sollte ich keine Frauenrolle übernehmen?“
Singen statt Fußball als Hobby in Bruno de Sás Kindheit
Dass Bruno de Sás Talent schon in seiner Heimat Brasilien erkannt wurde, verdankt sich wie so oft einem Zufall. Für die Vorgeschichte holt er weit aus: „Ich begann zu singen, als ich zwei Jahre alt war. Meine Eltern waren beide im Kirchenchor, und so bin ich aufgewachsen.“ Singen wurde zum Hobby, wo sonst jedes Kind angeblich lieber Fußball spielt. An eine Profimusikerkarriere war aber nicht im Traum zu denken: De Sá wollte lieber Musiklehrer werden, später Gesangspädagoge.
Bei einer Meisterklasse in Paris jedoch rührte der junge Sänger den Maestro zu Tränen und bekam den Rat, es als „echter Sopranist“ zu versuchen. Weil das nur in Europa möglich schien, führte ihn sein Weg zu einem ersten Engagement nach Basel. Dank begeisterter Kritiken schöpfte de Sá Selbstvertrauen, etablierte sich. Doch der ungestüme Lockenkopf will mehr, scheint stets auf neue Chancen zu warten. „In meinem Spezialfach ist das eben nicht einfach.“
Ganz genau weiß niemand, welcher Laune der Natur Bruno de Sá diese spezielle Stimme verdankt, die normalerweise das dreigestrichene Es, an guten Tagen sogar das F und damit theoretisch sogar den Spitzenton der berühmten Rachearie aus Mozarts „Zauberflöte“ erreicht. „Es war wohl eine Mischung aus hormoneller Entwicklung und genetischer Prädisposition“, sagt der quirlige Sänger, der auch eine relativ hohe Sprechstimme hat. „Mein Stimmbruch setzte sehr spät ein, und mein Bruder hat eine ähnlich hohe Stimme wie ich, auch wenn er kein Sänger, sondern IT-Experte geworden ist“, lacht de Sá. „Meine Stimmbänder sind wohl flexibler und können damit auch dünner werden, das ist eine andere Erklärung.“
Aber so furchtbar wichtig ist ihm das dann auch wieder nicht, und eine leidenschaftliche Künstlerpersönlichkeit wie er mag sich auch eigentlich gar nicht erklären, sondern einfach gebucht werden – vorurteilsfrei.