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Porträt Camille Thomas

In drei Minuten alles sagen

Mit jedem Stück formt Cellistin Camille Thomas eine Welt für sich – präzise abgezirkelt und mit dem kräftigen Bouquet ihres „Château Pape Clément“

vonHelge Birkelbach,

Aufgeräumt. Tiefenentspannt. Wach. Camille Thomas hat an diesem strahlend-kalten Vormittag bereits einen Termin beim gegenüberliegenden ZDF absolviert, live beim „Morgenmagazin“. Jetzt sitzt sie in einem Café an Berlins Prachtboulevard Unter den Linden – und fühlt sich zuhause. Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt und die Staatsoper liegen in unmittelbarer Nähe, auch die Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, wo die 1988 in Paris geborene Cellistin studiert hat.

Camille Thomas spricht fließend Deutsch, mit nur ganz feinem, wunderbar mitschwingendem Akzent. Alles an ihr wirkt konzentriert, aber keineswegs angestrengt. Sie erinnert sich: „Ich war 18, als ich hierherkam, und es war ein coup de foudre – Liebe auf den ersten Blick! Russische Komponisten, Schriftsteller und Künstler haben mich zu dieser Zeit stark inspiriert, ihre Tiefe und Leidenschaft hat mich angesprochen. Deshalb habe ich diese Nähe gesucht, die mir Frankreich und seine Leichtigkeit nicht bieten konnte. Insgesamt bin ich zehn Jahre in Deutschland geblieben. Neben Berlin habe ich auch in Weimar und Köln studiert.“ Die beiden Hauptstädte würden sich grundlegend unterscheiden, das irritierte sie anfangs. „Ich dachte zuerst: Oh, ist das hässlich hier! Überall Baustellen. Aber dann habe ich die anderen Viertel entdeckt, mit kleinen Geschäften, Kneipen und Cafés. Auch das soziale Leben hat mich begeistert. Und ganz anders als in Frankreich ist das Konkurrenzdenken nicht so ausgeprägt. Dort schauen die Studierenden argwöhnisch, was die anderen machen. Sehr elitär.“

„Wie ein alter, gereifter Rotwein“

Neben ihr liegt der Cellokasten mit dem wertvollen Instrument von Ferdinand Gagliano, gebaut 1788. Es hat einen ungewöhnlichen Namen: „Château Pape Clément“. Erinnert an einen teuren Wein. Und tatsächlich: „Es ist eine Leihgabe von Bernard Magrez, der in Bordeaux große Weine anbaut. Das Instrument ist wie ein alter, gereifter Rotwein, genau 200 Jahre älter als ich. Andere Instrumente aus berühmten Werkstätten tragen einen Namen, aber mein Instrument hatte noch keinen. Also haben wir ihn nach dem Wein getauft.“

Camille Thomas
Camille Thomas © Uwe Arens

Den Auftritt im „Morgenmagazin“ kann man sich auch bei YouTube anschauen. Während Camille Thomas, begleitet von der Pianistin Naoko Sonoda, Faurés „Sicilienne” anstimmt, schwenkt die Kamera auf eine putzige Schneekugel, die mit ihren wirbelnden Flöckchen die Metapher für den Tag liefert: Auch wenn’s draußen „brrr“ macht, haben wir’s drinnen doch schön warm. Dazu die Wärme der Musik. Und das Cello, ja, das hat den wärmsten Ton. Stimmt. Und dennoch ist da mehr, viel mehr. Auf ihrer aktuellen CD „Réminiscences“, die die Cellistin mit dem Pianisten Julien Libeer eingespielt hat, findet sich neben kammermusikalischen Werken von Fauré, Saint-Saëns und Franck auch die Sonate für Violoncello solo des Belgiers Eugène Ysaÿe. Eine Herausforderung, die dem Interpreten viel abverlangt. Spiegel Online schrieb begeistert: „Rhythmisch biegsam und pointiert im gestrichenen wie gezupften Bereich, zweistimmig sehnsuchtsvoll im Intermezzo, bedeutungsvoll im kurzen Adagio, dann wieder fast swingend im flotten Brio-Finale.“

Sensibilität gegenüber fremden Menschen und Dingen ist gefragt

Camille Thomas war 16 Jahre alt, als sie das Stück zum ersten Mal hörte – und war sofort hingerissen. Die Sonate sei so ziemlich das Romantischste, was das Repertoire für Solocello zu bieten habe. Und rar, denn Ysaÿe als Geigenvirtuose komponierte fast ausschließlich für sein Instrument sowie Streichorchester. „Der Ton ist ganz nahe an der Geige, sehr viele Doppelgriffe, schwer auf dem Cello zu spielen. Aber mit wunderschönen Farben.“

Der Untertitel der CD heißt „Un monde en soi“. Alle diese Stücke seien eine Welt für sich, sagt Camille Thomas. „Wir haben versucht, kleine Geschichten zu erzählen. Sie sind sehr intensiv und kurz. In drei Minuten kann man fast alles sagen: alle wichtigen Dinge, über Leben, Liebe, Tod. Die Stücke sollten wie auf einer Bühne wirken, in einer präzisen Atmosphäre, mit wechselndem Bühnenbild. Leben en miniature sozusagen.“ Die Zeit ist abgezirkelt, der Raum ist abgezirkelt. Da haben wir sie wieder, die Schneekugel. Nur ist sie hier etwas größer, eine Metapher für die Weltdeutung. Eine Welt, die immer komplizierter wird. Befragt zu den Auswirkungen der Globalisierung, sagt die Künstlerin, dass man sich gerade jetzt nicht vor der Welt zurückziehen darf, aktiv sein, Sensibilität gegenüber fremden Menschen und Dingen wieder entdecken soll. Dabei könne Musik helfen. Im gemeinsamen Erleben. Im Zuhören und Einlassen auf andere Kulturkreise, Epochen, Freigeister. Wie zum Beispiel Fazıl Say.

Der türkische Pianist und Komponist, der die Entwicklungen in seiner Heimat offen kritisiert, schreibt gerade ein Cellokonzert, das Camille Thomas gewidmet ist. Am 3. April wird es seine Uraufführung in Paris erleben. Sie freut sich: „Das Wichtigste ist das unmittelbare Erlebnis, das Jetzt. Der Künstler gibt und kommuniziert, das Publikum erlebt und antwortet. Das ist der Zauber.“

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