Nackte Körper klettern und gleiten über- und untereinander, verknoten sich zu einer bizarren Skulptur, die an den „Höllensturz der Verdammten“ von Rubens erinnert. Achtzig Minuten lang klatscht die nackte Haut auf den Bühnenboden. Schonungslos, ohne Pause für Tänzer und Zuschauer. „Körper“ nannte Sasha Waltz ihre abstrakte Choreografie, mit der sie 2000 ihren Durchbruch schaffte und die immer noch so manchen Zuschauer aus dem Theater jagt. „Die Körperkomponistin“ heißt sie seitdem.
1962 wurde sie in Karlsruhe geboren als Tochter eines Architekten. Zunächst wollte sie Malerin werden, doch dann zog es sie nach Amsterdam, an die School for New Dance Development, und später nach New York. Ende der Achtzigerjahre kehrt sie zurück und gründet 1993 in Berlin mit ihrem späteren Ehemann Jochen Sandig die Compagnie Sasha Waltz & Guests. Erste Bekanntheit erreichen sie mit anekdotischen und slapstickartigen Stücken, die im Berlin nach der Wende gut funktionieren.
„Allee der Kosmonauten“ etwa spielt in einem Ost-Berliner Plattenbau und erzählt eine „gemütliche“ Familiengeschichte aus Marzahn, deren Protagonisten um ein umgekipptes Sofa herum mit allerlei Gags buchstäblich die Zeit totschlagen. „Zweiland“ (1997) beginnt mit einem faszinierenden Bild für die deutsche Teilung: zwei nackte Männerkörper, untrennbar miteinander verbunden, wie ein siamesischer Zwilling. „17-25/4“ von 2001 ist nach dem Planquadrat benannt, das die Schaubühne am Lehniner Platz, in deren Direktorium sie bald sitzt, im Kataster der Stadt Berlin einnimmt – nicht ohne Grund, denn es geht in dem Stück um die Eroberung des Raumes. Im Verlauf der Handlung verlagert sich der Spielort der Tänzer sogar auf die Dächer der Schaubühne.
Von der Kritik bejubelt – und angeprangert: Sasha Waltz
Mit der Choreografie zu Purcells „Dido and Aeneas“ prägt Waltz ab 2005 das Genre der „choreografischen Oper“. Choreografien zu Wagners „Tannhäuser“, Pascal Dusapins „Medea“ und Monteverdis „L’Orfeo“ entstehen, sowie zu Berlioz’ dramatischer Sinfonie „Roméo et Juliette“ an der Opéra Bastille unter der musikalischen Leitung von Valery Gergiev. Mit ihm feiert sie einen weiteren Triumph in Paris, als sie 2013, hundert Jahre nach seiner skandalträchtigen Uraufführung, ihre Vision von Strawinskys „Le Sacre du printemps“ präsentiert.
Niederlagen und manche kulturpolitische Rochade erlebt sie allerdings in Berlin, einer Stadt, mit der sie in Hassliebe verbunden scheint – nicht erst seit ihrem Abschied von der Schaubühne 2004. Als sie 2016 zur Co-Intendantin des Berliner Staatsballetts ernannt wird, heißt es in einer im Internet veröffentlichten Petition, sie sei „als Vertreterin des Tanztheaters für die Leitung eines klassischen Balletts ungeeignet“. Auch die Kritik ist wenig gnädig, prangert ihre „Lust an der schrillen Action und der reinen Oberfläche, unter der sich nichts befindet“ an (FAZ). Die „Welt“ setzt noch einen drauf: „Sasha Waltz ist eine Marke geworden, sie klont und variiert sich, Neues sieht man gegenwärtig nicht“. Die meisten Kritikerinnen hingegen sind fasziniert von dem kultischen Weihe-, Weibs- und Mysterienspiel.
Immer wieder hat Waltz angekündigt, Berlin zu verlassen und die aus ihrer Sicht mangelnde Unterstützung und Anerkennung ihrer Kompanie beklagt, die mit 25 festen und 40 freien Mitarbeitern jährlich rund hundert Vorstellungen gibt. Unter dem Motto „Dialoge – Wirbel“ feiert sie jetzt an vier Abenden im Radialsystem ihr 25-jähriges Jubiläum. Mit dabei: Sasha Waltz’ fünfzehnjährige Tochter Sophia.
Sasha Waltz‘ Choreografie zu Strawinskys „Le Sacre du printemps“ :
concerti-Termintipps:
Bochum
Sa. 15.9.2018, 20:00 Uhr (Premiere)
Sasha Waltz: Exodos
Sasha Waltz (Choreografie) & Guests, Soundwalk Collective
Jahrhunderthalle Ruhrtriennale
Weitere Termine: 16., 18., 19. & 20.9.2018