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Daniel Barenboim zum 75. Geburtstag

Der Weltenwanderer

Kaum ein anderer prägte die klassische Musik der vergangenen Jahrzehnte derart wie der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim. Heute wird er 75 Jahre alt

vonMaximilian Theiss,

Es gibt Menschen, die entziehen sich ein Leben lang jedweder Zuordnung. Zum Beispiel Daniel Barenboim, jener argentinische Pianist und Dirigent jüdischer Herkunft, der sich seit Jahrzehnten unermüdlich für die Verständigung nicht nur zwischen Palästinensern und Israelis einsetzt, sondern für ein friedvolles Zusammenleben des gesamten Nahen Ostens. Doch mit der Frage nach seinem kulturellen Hintergrund fängt es schon an: Geboren und aufgewachsen in Buenos Aires, wanderte Barenboims Familie (die übrigens auf russische Wurzeln zurückblickt) 1952 nach Israel aus. Daniel, zu dieser Zeit zehn Jahre alt, beherrschte da schon lange Beethovens Klaviersonaten. Für das Wunderkind setzte sich die Reise bereits zwei Jahre später fort, als er 1954 nach Salzburg ging.

1955 und 1956 studierte Daniel Barenboim dann in Paris Harmonielehre und Komposition, seine enge Verbundenheit zur Hauptstadt Frankreichs blieb bis heute bestehen. Allein schon die Frage der Nationalität erübrigt sich also bei jenem Künstler, der seit 25 Jahren das Berliner Musikleben prägt wie kaum ein anderer Künstler, der 18 Sommer hintereinander in Bayreuth im Dienste der Wagner-Festspiele verbrachte, der neben der argentinischen auch noch die israelische und – in dieser Kombination vermutlich einmalig – obendrein die palästinensische Staatsbürgerschaft hat. Auch einen spanischen Ausweis besitzt er.

Daniel Barenboim, der Kosmopolit

Auch wenn das Kosmopolitische ein wichtiger Bestandteil des Wesens Barenboim ist – es tritt hinter der Musik zurück, die sein Leben bis zum heutigen Tag bestimmt. Ein Wunderkind am Klavier war Daniel Barenboim ohne Zweifel, und doch betont er immer wieder, dass seine Eltern ihm eine verhältnismäßig normale Kindheit und Jugend ermöglichten. Auch er drückte vormittags die Schulbank und spielte nachmittags mit seinen Freunden Fußball, daran sollte auch sein außerordentliches musikalisches Talent wenig ändern.

Daniel Barenboim
Daniel Barenboim © Karina Schwarz/DG

„Das Wunder ist weg, das Kind ist geblieben“ sagte Barenboim dazu jüngst im Bayerischen Rundfunk. Natürlich ist so ein Bonmot gewollter Ausdruck der eigenen Bescheidenheit. Nur ist diese nicht aufgesetzt. Wenn Barenboim vor seinen Auftritten im von ihm maßgeblich mitgestalteten und –organisierten Konzertsaal der Berliner Barenboim-Said-Akademie in seiner typischen Gelassenheit durchs Foyer schlurft, muss man gleich zweimal hingucken, um zu erkennen, dass dieser durchschnittlich gekleidete Herr mit grauem Anzug und Krawatte jener Pianist ist, ohne den dieser Saal gar nicht existieren würde.

Weltweites Medienecho garantiert

Und doch kaschiert diese bescheidene Zurücknahme der eigenen Person keinesfalls die Suche (um nicht zu sagen: Sucht) nach öffentlicher Aufmerksamkeit. Mit seinen nunmehr 75 Jahren wendet sich der Dirigent und Pianist etwa auf Youtube mit einem eigenen Kanal vorrangig an die „digital natives“ unter den Klassikliebhabern. Auch vermag kaum ein Künstler seine eigenen Projekte so brillant in Szene zu setzen wie Barenboim.

Daniel Barenboim
Daniel Barenboim und das West Eastern Divan Orchestra © Monika Rittershaus

Sein West Eastern Divan Orchestra, das er zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten Edvard Said sowie mit dem Kulturmanager Bernd Kauffmann als musikalisches Exempel friedlichen Zusammenlebens und –arbeitens der verfeindeten Volksgruppen des Nahen Ostens ins Leben rief, erfreut sich seit seiner Gründung 1999 eines internationalen Bekanntheitsgrades wie sonst kein anderes Nachwuchsorchester der Welt.

Und seine Strahlkraft als Künstlerischer Leiter, Generalmusikdirektor und Chefdirigent auf Lebenszeit an der Staatsoper Berlin rief gerade in den letzten Jahren während der Generalsanierung des Stammhauses einige Kritiker auf den Plan, die ihm zu viel Einflussnahme oder gar Selbstherrlichkeit vorwarfen. Auch bei seinen nicht wirklich unbeabsichtigten (wenn auch ganz und gar friedfertigen) Provokationen von der Livedarbietung einer Wagner-Passage in Israel bis hin zu einem (am Ende abgesagten Konzert) im Iran ist dem Dirigenten ein weltweites, leidenschaftliches Medienecho garantiert.

Barenboims schwer fassbare Wesen

Andererseits stammen von ihm auch Sätze wie jener aus einem Interview mit concerti, als er über seine Projekte sagt: „Wenn der Mensch etwas Positives erschafft, gehört es ihm nicht mehr allein, sondern der ganzen Gesellschaft.“ Mit anderen Worten ausgedrückt: Wenn das, was ich tue, Früchte trägt, müssen jene, die sie ernten, mich deswegen nicht gleich ständig lobpreisen. So vergessen oben erwähnte Kritiker gerne, dass es Barenboim war, der nach der Wende das Opernhaus Ost-Berlins wieder zu Weltruhm führte – wenn auch mit Gagen, die von Anfang westliche Standards hatten.

Vielleicht lässt sich das so schwer fassbare Wesen Barenboims mit Erich Kästners Spruch „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ umschreiben: Wann immer ihn eine Vision überkommt – er setzt sie einfach um. 2011 spielte Daniel Barenboim in Siena auf einem restaurierten Flügel von Franz Liszt, dessen Klang und Anschlag ihn faszinierten. Er untersuchte die Bauweise des Instruments, wandte sich an einen belgischen Klavierbauer und ließ sich einen eigenen Flügel anfertigen. Der war achtzehn Monate fertiggestellt und ist seither „sein“ Instrument, auf dem er Konzerte gibt und CDs einspielt. Die Einnahmen seines Geburtstagskonzerts heute Abend in der Berliner Philharmonie kommen übrigens dem Berliner Musikkindergarten zugute. Auch der ist so eine Vision, die Barenboim vor zwölf Jahren ganz einfach in die Tat umsetzte.

Auf YouTube hat Daniel Barenboim diverse Video-Reihen zum Thema Klassik:

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