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Porträt Daniil Trifonov

„Wissen Sie, wann ich geboren wurde?“

Kein Pianist wird derzeit mehr umjubelt als Daniil Trifonov. Doch im Gespräch gibt sich der Tasten-Feuerkopf sehr zurückhaltend

vonChristian Berzins,

Wo steckt dieser Russe bloß? Schon haben wir via Zürich dem Label in Berlin Druck gemacht, damit jemand aus Moskau das junge Genie Daniil Trifonov in seinem Genfer Hotel anrufen möge. Doch kaum ist das Telefon-Chaos angerichtet, schlendert der Klavier-Triumphator gesenkten Hauptes die Rue Hornung hoch. Seine Schultern scheinen gar nicht recht am Körper zu halten, der Blick geht ins Leere. „Gehen wir in den Konzertsaal“, murmelt er nach einer halben Begrüßung, um dann stumm durch die Gänge der Victoria Hall zu schleichen. Am Podium angelangt, legt er die Noten auf den Flügel und nimmt alsbald im Parkett des Konzertsaales Platz.

„Wovon träumten Sie, Herr Trifonov, als Sie zehn Jahre alt waren?“ Eine Frage, die den jungen Musiker ganz offenbar überrumpelt. Er überlegt, lächelt gequält, überlegt wieder und sagt dann: „Ich träumte von Alexander Skrjabins Klavierkonzert.“

Von Nizhny Novgorod über Moskau nach Cleveland

Und das Leuchten in seinen Augen unterstreicht den Wahrheitsgehalt der verrückten Worte. Als habe er aber gemerkt, dass eine solche Frage in einem Interview nicht auf seine Klavierkunst zielen kann, fügt er hinzu: „Und klar, ich spielte damals oft Fussball und Eishockey, träumte folglich auch davon.“

Binnen dieser wenigen Sätze ist bereits klar: Fragen nach seinen Fussballhelden von damals machen bei diesem jungen Mann keinen Sinn – mit neun Jahren gab es in seinem Leben tatsächlich nichts anderes als das Klavier. Seine Eltern hatten nämlich beschlossen, mit dem Sohn nach Moskau zu ziehen, damit er dort am legendären Gnessin-Institut studieren konnte. Als er siebzehn war, wechselte der Teenager nach Cleveland in die Klasse von Sergei Babayan – einem Russen, in dessen Unterrichtsstunden der Anzug Pflicht war. Was die Sehnsucht seines Schülers nach der Heimat seiner Kindheit indes nicht minderte: Voller Nostalgie und Heimweh komponierte das singuläre Talent eine Rachmaniana.

Doch von eben diesen Kinderjahren im 500 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Nizhny Novgorod mag Trifonov heute nicht mehr viel erzählen. Und die sowjetische Geschichte der Stadt ist nicht die seine. Erst betont er, dass Nizhny Novgorod auch eine musikalische Stadt mit Konservatorium und Philharmonie sei, dann folgt die Frage: „Wissen Sie, wann ich geboren wurde? 5. März 1991“, gibt er die Antwort gleich selbst mit. Thema beendet. „Die Sowjetunion war nicht mein Leben.“

Erstaunlicherweise begann sein Leben nicht mit Klaviergeklimper, sondern der fünfjährige Bub komponierte – er eiferte dem Vater nach, einem Kirchenmusiker. Als Pianist erntete der schlaksige junge Mann 15 Jahre später die ersten Lorbeeren mit dem 3. Preis beim Warschauer Chopin-Wettbewerb in Warschau, 2011 folgten erste Preise beim Rubinstein-Wettbewerb in Tel Aviv und beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb. Heute gibt Trifonov 100 Konzerte im Jahr, mittlerweile ist dieser Erfolg zu seinem größten Problem geworden: Denn vor lauter Konzerten bleibt ihm kaum noch Zeit, sich neues Repertoire anzueignen. Auf Tourneen hat er stets ein kleines Keyboard dabei – besteht keine Möglichkeit, am Klavier zu proben, komponiert er.

Emotionale Kraftreserven für das Musiker-Jetset-Leben

Komponieren, Reisen, Konzerte geben, CD-Aufnahmen, üben, ein Leben zwischen Cleveland und Moskau … sind das nicht zu viele der Herausforderungen? Als Antwort ein Schulterzucken: „Wichtig ist, dass ich mich nach den Konzerten erholen kann: Die emotionale Kraft muss immer neu aufgebaut werden“, sagt der Shooting-Star. „Ich bin ein sehr spontaner Künstler, ich kann heute nicht wissen, wie ich morgen spiele. Da gibt es bei mir viel Intuition und Spontaneität.“ Wer Trifonov spielen hört, wird seine Worte bestätigen: Dieser Pianist stürzt sich so spektakulär in Tschaikowskys 1. Klavierkonzert, dass er in den Notenwogen zu ertrinken droht. Dann aber merkt man, wie mirakulös er sich von ihnen befreit – und jubelnd triumphiert.

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