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Porträt Long Yu

Der Karajan von China

Long Yu darf sich als derzeit wohl wichtigster Dirigent seiner Heimat fühlen

vonChristian Schmidt,

Es ist ganz das Bild eines Maestro: Mit dem zurückgekämmten Haar und einem zutiefst konzentrierten Blick aus selbstbewussten braunen Augen strahlt Long Yu die Strenge eines Dirigenten aus, der weiß, was er von sich zu halten hat. Leutselig geht es zu, wenn der weltgewandte chinesische Dirigent von der Unwichtigkeit seiner eigenen Person spricht, denn, so versichert dieser glaubhaft, ihm gehe es stets um die Kraft der Musik.

Tatsächlich hat es Long Yu aber als einer der wichtigsten Dirigenten seines Landes zu internationaler Hochachtung gebracht. Trifft man den Dirigenten in der City von Berlin, weckt das in ihm nur angenehme Erinnerungen. „Ich durfte als erster nach der Kulturrevolution im Westen studieren, das war eine sehr prägende Erfahrung.“ Und man versteht: nicht so sehr, weil es im Westen war, sondern weil es überhaupt im Ausland war. „Wenn ich hier durch die Berliner Straßen gehe, zieht das alles wie ein Film vor meinem geistigen Auge vorbei. Das war schon eine sehr wichtige Zeit für mich, für mein Leben.“

Die Triebfeder europäischer Kultur in China 

Long Yu gilt als Perfektionist am Pult, einer, der bis zum letzten Blutstropfen nach bestimmten Klängen fahndet. Ob seine Interpretationen dadurch mehr Gültigkeit als andere besitzen, ist wie bei jedem weltweit aktiven Dirigenten umstritten. Sehen seine Kritiker Yus Ruhm vielleicht weniger im Genius seines kapellmeisterlichen Wirkens begründet, müssen sie doch eingestehen, dass der energiegeladene Mann als eine der wesentlichen Triebfedern dafür gesehen werden muss, im Reich der Mitte ein Konzertleben nach europäischen Standards aufgebaut zu haben. Manche bezeichnen Long Yu gar als chinesischen Herbert von Karajan. Nach dem Studium in seiner Heimatstadt Shanghai und an der Berliner Hochschule der Künste Ende der 80er Jahre kehrte er in den 90ern nach China zurück und sammelte in kurzer Zeit drei Chefposten führender Orchester des Landes ein. Yu gründete das renommierte Musikfestival in Peking und protegiert mit seinen weltweiten Dirigaten zahlreiche zeitgenössische Komponisten seiner Heimat.

Eine seiner Herzensangelegenheiten ist die 2009 übernommene künstlerische Leitung des 1879 gegründeten Shanghai Symphony Orchestra, das damit als das älteste Sinfonieorchester Asiens gilt. Long Yu führte es erst 2013 zum ersten Mal auf Auslandstournee. Die internationale Anerkennung dieses wichtigen Klangkörpers ist eine echte Pionierleistung Yus: „Bis zur Kulturrevolution 1949 war es ja ein komplett europäisch orientiertes Orchester, besonders während des zweiten Weltkrieges spielten hier viele jüdische Musiker“, sagt der heutige Chef. Selbst während der Kulturrevolution überlebte es, zwar mit geändertem Programm, aber immerhin. „Es musste sich aber immer behaupten. Sich von der Kulturrevolution zu erholen, war ein langer Weg.“ Das meint: Es hielt lange Zeit einfach niemand für nötig, aus China hinauszufahren. „Ein bisschen war es immer eine Kulturbehörde, sehr langsam im Denken.“

Eine Klassiklandschaft nach europäischem Vorbild

Unterschiede in der Spielkultur zu europäischen Orchestern sieht Yu nicht. „Es hat sich so einen Stand erarbeitet, dass Leute wie Jiří Belohlavek, Riccardo Muti, Yo Yo Ma oder Alan Gilbert gern zu uns kommen.“ Man könnte auch sagen: Die gute finanzielle Ausstattung hat geholfen, das Orchester nach westlichen Maßstäben zu etablieren. Yu führte eine Abonnementreihe ein, eröffnet noch in diesem Jahr einen neuen Konzertsaal, legt Wert auf spannende, auch reibungsvolle Programme. „Außerdem haben wir eine Orchesterakademie gegründet, die bisher einzige in Asien. Wir experimentieren mit musikalischer Jugendbildung, und es gibt ein Sommerfestival in der Mitte der Stadt, das man ganz unkonventionell in Shorts und mit Eiscreme besuchen kann.“

Das chinesische Publikum entwickelt sich mit dem Orchester, das Interesse an klassischer Musik wächst mit dem Wunsch, sich westlichen Lebensstandards anzunähern. „Shanghai war schon vor dem Krieg eine sehr musikalische Stadt. Die Menschen haben einen hohen Respekt vor klassischer Musik, und natürlich sind unsere Programme und Solokünstler allesamt erstklassig. Und es kommen immer mehr erstklassig ausgebildete Musiker, sie haben zwar ihre Ausbildung außerhalb Chinas abgerundet, kommen dann aber wieder, weil wir ihnen bessere Bedingungen bieten können, als es früher der Fall war.“

Long Yu ist sich seiner Wurzeln bewusst

Gleichwohl ist sich Long Yu der andersartigen kulturellen Wurzeln bewusst: „Verantwortung wäre vielleicht zu viel gesagt, aber ich fühle eine gewisse Leidenschaft für die chinesische Musik, die es wirklich wert ist, entdeckt zu werden. Es gibt da sehr interessante Zeitgenossen, die durchaus auch ganz anders als die europäischen komponieren.“ Sicher, die Globalisierung mag auch in der musikalischen Avantgarde zu Annäherungen geführt haben, und so sind die Einflüsse von außen naturgemäß groß, aber die Werke, die Yu ein ums andere Mal zum Beispiel auch nach Deutschland exportiert, vergegenwärtigen doch in ganz positivem Sinne auch in der Musik eine Sehnsucht nach Wandel durch Annäherung.

Long Yu glaubt, dass „das Interesse für die chinesische Musik wächst, und da reden wir natürlich nicht über das Zeug, was im Chinarestaurant zur Pekingente läuft.“ Bei dieser Bildungsaufgabe stünde die Welt aber gerade mal am Anfang, „das Rad muss die nächste Generation weiterdrehen“. Dann klingt Long Yu fast staatsmännisch: „Wir müssen alle mehr voneinander lernen, auf Augenhöhe. Deswegen habe ich solche Hochachtung vor Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra, weil es über kulturelle Brücken hinweg politische Gräben überspannt.“

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