Es gibt Tage, an denen ich gerne vergesse, dass ich Sänger bin.“ Kann, ja darf ein Tenor das wirklich von sich sagen? Pavol Breslik kennt solche freien Tage – und dann singt er tatsächlich keinen Ton. Sitzt stattdessen etwa in grauem Pullover, Jeans und Sneakern entspannt, doch konzentriert in der Bibliothek der Berliner Staatsoper im Schillertheater und erzählt. Kleiner und schmaler als auf der Bühne wirkt der 1979 in Bratislava geborene Slowake hier: „Ich sage immer: Tenor zu sein, ist eine Diagnose.“ An „normalen“ Tagen spüre er in der Früh bereits, ob die Stimme „da“ sei – „irgendwie so ein physisches Gefühl“.
Singen ist ein athletischer Beruf. Muskelarbeit. Bresliks lyrischer Tenor klingt hell und leicht und immer noch jugendlich, doch beherrscht er auch kräftigere, dunklere Zwischentöne wie in der Titelrolle von Gounods Faust: „Ich mag es sehr zu spielen.“ Am Faust etwa interessiere ihn der vielschichtige Charakter eines „alten unzufriedenen Mannes“, der nach der ewigen Jugend suche.
Reflektierte Worte eines Vielgefragten. Die Tage, die er auf Reisen ist, zählt Breslik nicht mehr – einzig das ständige Kofferpacken mag er nicht an seinem Beruf. Das Ankommen an wechselnden Orten hingegen fällt ihm inzwischen nicht mehr schwer: Das Leben mit der Oper sei ein bisschen „wie in einer großen Familie“. Und schwärmt von Städten wie Zürich, München, London und New York und interessanten Menschen, denen er begegne. „Ich habe nie gedacht, dass ich irgendeine …“ – er unterbricht sich: „Das Wort Karriere mag ich nicht.“ Und korrigiert: „… dass ich so viel unterwegs sein werde.“
Bei der Gartenarbeit denkt er nicht an falsche Töne
Angefangen hatte alles in einem kleinen Ort im Norden der heutigen Slowakei. Als Kind spielte er Akkordeon, sang in der Musikschule – und daheim mit seinem Jungensopran zur Schallplatte alle Stimmen von Dvorˇáks Stabat Mater und Puccinis Turandot mit. „Nicht gerade zur Begeisterung der Nachbarn.“ Die Platten hatte der Grundschüler „aus Versehen“ aus der Bibliothek entliehen. „Ich habe nie begriffen, dass ich singen kann“, sagt Breslik und lacht. Dass Singen regelrecht eine Arbeit sei, habe er erst im dritten Studienjahr am Konservatorium verstanden. Schon früh gewann er einen ersten Preis beim renommierten Gesangswettbewerb in Karlsbad, wurde Mitglied im Opernstudio in Marseille.
Entscheidend sei dann aber das Vorsingen in Berlin gewesen – rückblickend betrachtet: „Ich war ein kleiner Sänger. Da ist der Herr Barenboim mit seiner Zigarre auf die Bühne gekommen und hat mich gefragt: Was singst du?“ Breslik sang Donizetti und Mozart – Tamino, den märchenhaften Prinzen aus der Zauberflöte. „Das war’s!“ Eine Partie, mit der er – kaum dem Studium entwachsen – seinerzeit schon Kurt Masur für sich eingenommen hatte: „Wer hat es ihnen beigebracht, so schön zu musizieren?“, fragte ihn der inzwischen verstorbene Maestro beim Vorsingen in Paris. „Ich hab keine Ahnung“, hatte Breslik damals achselzuckend geantwortet.
Was es anfangs zu lernen galt? „Alles“, erinnert er sich an sein erstes Festengagement in Berlin von 2003 bis 2006. Er übernahm Anfängerpartien und bald Hauptrollen in Don Giovanni, Così fan tutte und der Zauberflöte. „Das Schwierigste dort ist die Leichtigkeit, die Einfachheit, die klaren Linien.“ Schubladendenken ist ihm dennoch zuwider: Er lebt im Moment und weiß, dass sein Beruf der eines Grenzgängers ist. „Es gibt sehr viele Sterne, die herunterfallen.“ Am Ende gehe es darum, sich immer wieder zu erden – am besten im Garten: „Wenn ich dort mit den nackten Händen in der Erde wühle, denke ich plötzlich nicht mehr daran, ob der Ton vorgestern nicht so toll gewesen ist, sondern ich vergesse einfach alles.“