„Die Schafe!“ – die fallen der Bratscherin Megumi Kasakawa als erstes ein, wenn sie nach dem Projekt gefragt wird, das für sie als Mitglied des Ensemble Modern den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat. Seit 2010 spielt die Japanerin in jenem Ensemble, das vor vierzig Jahren in Frankfurt gegründet wurde und das längst unangefochten an der Spitze steht, wenn es um zeitgenössische Musik in Deutschland geht. Heiner Goebbels hatte 2014 die Hundertschaft Schafe auf die Bühne der Ruhrtriennale gebracht für seine Inszenierung von Louis Andriessens „De Materie“, Megumi Kasakawa konnte sie nicht vergessen – „weil man verschiedene Sinne im Einsatz hatte, man konnte hören, sehen und riechen.“ Doch nicht minder groß war der Eindruck, den 2007 der Erstkontakt der Musikerin mit dem Ensemble hinterlassen hatte: „Das war ein Schock! Weil ich noch nie so ein klang-stylisches, geschmackvolles Ensemble gehört habe – ich wollte einfach mitspielen.“
Fragt man die rund zwanzig Solistinnen und Solisten der aktuellen Besetzung nach den prägendsten Erinnerungen oder größten Herausforderungen, bekommt man unterschiedliche Antworten: Oboist Christian Hommel etwa denkt an Heinz Holligers „Cardiophonie“ – „die Oboe ist physisch ein extrem anstrengendes Instrument, mit dem der Spieler seit jeher an Grenzen stößt. In diesem Werk führt genau diese Anstrengung zum theatralischen Infarkt.“ Posaunist Uwe Dierksen verweist dagegen auf jenes Projekt, mit dem das Ensemble Modern so viel Aufmerksamkeit bekommen hat wie nie: Die Zusammenarbeit mit Frank Zappa für „The Yellow Shark“ im Jahr 1992. „Frank Zappa verbindet, wie ich finde, das Neue mit dem Altgewohnten auf sehr sympathische und kluge Weise“, erklärt Dierksen. „Es war mit Sicherheit das Projekt, das für den größten Überraschungseffekt gesorgt hat“, bestätigt auch Geschäftsführer Christian Fausch. „Zappa und die Neue Musik: Es war eine ungewöhnliche Kombination, die offensichtlich den Zeitgeist getroffen hat. Und die das Publikum begeistern kann, auch weil sie Erinnerungen wach werden lässt.“
Ensemble Modern: Jedes Jahr rund zwanzig Uraufführungen
Eine Besonderheit des Ensemble Modern ist seine basisdemokratische Organisationsweise, die auch seine Wurzeln verrät, wurde es doch einst gegründet von Musikern der ähnlich strukturierten Jungen Deutschen Philharmonie. Alle Entscheidungen, ob künstlerischer, organisatorischer oder finanzieller Natur, werden von den Ensemblemusikern selbst getroffen. So etwas, schwärmt Fagottist Johannes Schwarz, „gibt es in dieser Direktheit im Klassikbereich nicht.“ Immer ausschließlich zeitgenössische Musik, jedes Jahr siebzig neue Werke, darunter rund zwanzig Uraufführungen: Spielen die Musikerinnen und Musiker heimlich auch Alte Musik oder Beethoven? „Zwischendrin ist klassische Musik eine sehr wichtige Sache, die musikalische Qualitäten fördert und poliert, damit da nichts untergeht“, weiß Cellist Michael M. Kasper: „Man muss auf die Gesamtheit seiner Techniken aufpassen. Man lernt immer neue Spieltechniken im Umgang mit Neuer Musik, darf aber Qualitäten wie Klangschönheit, Phrasierung oder Fragen des Vibratos nicht verschwinden lassen.“ So pflegt Kasper das klassische Streichquartett, Klarinettist Jaan Bossier sitzt regelmäßig im Mahler Chamber Orchestra.
Radikaler denkt dagegen Hermann Kretzschmar, seit 1984 Pianist des Ensembles und damit einer der echten Veteranen. Nein, bekennt er, „ich spiele überhaupt keine Klassik. Wenn ich ein klassisches Stück zuhause anspiele, dann deshalb, weil sich ein heutiger Komponist drauf bezogen hat, also zu meiner Orientierung.“ Und auch sein Kollege Hommel ist sich sicher: „Niemals würde ich wechseln wollen!“ Die Zukunft sieht für das Ensemble, das 2020 sein vierzigjähriges Bestehen mit einem ganzjährigen Jubiläumszyklus feiert, durchaus rosig aus, jedenfalls zuhause in Frankfurt: Markus Fein, der designierte Intendant der Alten Oper, hat sich gleich in seinem ersten Interview dezidiert zum Ensemble Modern bekannt und eine Vergrößerung der Zahl der Auftritte angekündigt.
In diesem Jahr feiert das Ensemble Modern sein 40-jähriges Jubiläum: