Skeptisch wurde die junge Musikertruppe von der Obrigkeit beäugt, die da im Jahr 1980 begann, das erste Ensemble mit Originalinstrumenten der Barockzeit in der DDR auf die Beine zu stellen. Die neu gegründete Akademie für Alte Musik Berlin bestand aus Musikern der Ostberliner Opernhäuser und des damaligen Berliner Sinfonie-Orchesters. An historische Instrumente oder an Nachbauten zu gelangen, war in Ostberlin nicht einfach: Ernst-Burghard Hilse, Mitgründer sowie Flötist des Konzerthausorchesters (damals Berliner Sinfonie-Orchester), lieh sich zunächst beim Pfarrer der Berliner Hedwigs-Kathedrale eine Barockflöte aus, bevor er dann endlich ein Instrument von der anderen Seite der Berliner Mauer erhielt. Zwei Jahre lang bereitete man sich unter der Leitung des Konzertmeisters Stephan Mai minutiös auf den ersten Auftritt in der Köpenicker Schlosskirche im Herbst 1982 vor.
Telemann stand Pate
30 Jahre ist das nun her, ein alter Kassettenmitschnitt erinnert noch heute an das wichtige Ereignis in Köpenick, über das die Musiker künstlerisch längst hinausgewachsen sind. „Der musikalisch-musikantische Ansatz war es, der unsere Arbeit bestimmte“, sagt der Konzertmeister Stephan Mai im Rückblick. „Weniger das exakte historische Wissen als ein Bauchgefühl leitete uns.“ Das Bauchgefühl der Musiker war von Anfang an richtig, schnell war ein Ostberliner Stammpublikum aufgebaut. Zunächst veranstaltete man in der Humboldt-Universität eine Konzertreihe, und man begann mit Telemann. Dies schien den frischgebackenen Barockmusikern die günstigste Möglichkeit, zu wirklichen Spezialisten zu werden. Denn, so sagt Georg Kallweit, ebenfalls Konzertmeister: „Wenn man aus einem Sinfonieorchester kommt und Musik spielt, bei der es um horizontale Flächen und Klangfarben geht, dann ist Telemann wirklich perfekt, um die Affektenlehre der Barockmusik zu lernen. Hier übernimmt Musik die Funktion einer Sprache, in der es darum geht, Geschichten, Ereignisse und Emotionen in Klang zu fassen. Man muss Kommas setzen, artikulieren, Sinnzusammenhänge schaffen, und genau das lässt sich an Telemann fantastisch lernen.“
Heimat im Konzerthaus
Etabliert wurde damals auch die Tätigkeit der Akamus im damaligen Schauspiel- und heutigen Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Im rekonstruierten Schinkel-Bau erhielt das Ensemble gleich nach der Eröffnung 1984 eine eigene Abonnement-Reihe, die bis heute als Kern aller Akamus-Tätigkeiten gesehen werden kann. Zunächst konzentrierte man sich auf Werke von Bach sowie auf die sogenannte Berliner Schule: Quantz, Nichelmann, Kirnberger, Schaffrath und Carl Philipp Emanuel Bach. Über die Wendejahre bis zu seinem neuen Chefdirigenten Iván Fischer hat das Haus dem freien Ensemble eine eherne Treue gehalten. „Wir haben das Glück“, so betont der heutige Orchestermanager Felix Hilse, „dass auch der neue Chefdirigent Iván Fischer aufgrund seiner eigenen künstlerischen Biographie viel mit dem anfangen kann, was wir hier tun.“
Repertoire ohne Berührungsängste
Bis zur internationalen Anerkennung, die die Akademie für Alte Musik heute genießt, war es ein langer Weg – erleichtert wurde er im Zuge der Wiedervereinigung 1990. Bereits wenig später fragte der RIAS Kammerchor für eine Zusammenarbeit an, von da ab erweiterte sich das Repertoire: Gemeinsam mit dem Chorleiter Marcus Creed erschloss sich das Ensemble die großen Oratorien Händels, Hasses und Bachs und stieß auch in scheinbar fremde Hemisphären vor, die Werke von Schubert, Berlioz, Brahms und Bruckner umfassten. 1993 gab es einen Preis für die CD-Einspielung von Bachs h-Moll-Messe, etliche weitere Preise für Aufnahmen sollten folgen.
Auch Ausflüge ins Gebiet der Neuen Musik hat es – zunächst vor einigen Jahren mit der Tanzkompanie Sasha Waltz – bereits gegeben, doch für die Akademie für Alte Musik geht es noch neuer, wie sich nun herausstellt. Beim Jubiläumskonzert am 29. November im Konzerthaus wird das Ensemble ein Auftragswerk aufführen: Der Komponist Christian Jost hat den Alte-Musik-Spezialisten ein Violinkonzert geschrieben.