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Porträt Musicbanda Franui

Wiesen-Musik

Wenn du einen Trauermarsch vier Mal so schnell spielst, wird’s eine Polka – unter diesem Motto hat die Musicbanda Franui ihre ganz eigene Musik entwickelt

vonNinja Anderlohr-Hepp,

Zweitausendreihundert Meter über dem Meeresspiegel liegt sie, die malerische Almwiese Franui in Osttirol, gleich neben dem beschaulichen 1000-Seelen-Ort Innervillgraten. Wenn man dort etwas vermuten würde, dann Bergsteiger, aber wohl kaum den Ursprung einer Musicbanda, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, mit bestehenden musikalischen Usancen aufzuräumen – und das mit Beharrlichkeit, Traditionsbewusstsein und einer großen Sehnsucht nach mehr.

Trauerfeier mit Witz – das geht nur mit Musik

Seit sich die Musicbanda Franui 1993 rund um Trompeter Andreas Schett gegründet hat, gab es keine Besetzungsänderung: Man kennt sich von Kindesbeinen an, hat in der örtlichen Blaskapelle miteinander musiziert und ist sich gegenseitig mehr Freund als Kollege. Verbindendes Element für alle zehn ist der Rhythmus des Trauermarschs: „Durch das Spielen der Trauermarsch-Musik bei Beerdigungen habe ich verstanden, dass gute Musik niemals eine Ein-, sondern eine Mehrdeutigkeit haben muss. Hinten reißt noch einer einen Witz und vorne sagt der Kapellmeister: Nr. 37, das ist die ‚Teure Mutter‘. Gerade wird noch gelacht, und fünfzig Meter weiter stehen die Angehörigen in ihrer tiefsten Trauer – und dann fängt dieser Trauermarsch an. Die Musik ist genial, weil sie zugleich lachen und weinen kann.“

Musicbanda Franui
Musicbanda Franui © Julia Stix

Lachen und Weinen, Stillstand und Fortschritt, Tradition und Moderne – all dies beschreibt die zehnköpfige Musicbanda. Und doch fassen diese Schlagworte nicht ganz, was hinter den eigenwilligen wie außergewöhnlichen Bearbeitungen und Rekompositionen von Andreas Schett und Markus Kraler steckt. „Einer malt die Kugeln, der andere die Striche“, beschreibt Schett scherzend den Prozess, der zum einzigartigen Franui-Klang führt. „Buchstäblich wird jede musikalische Entscheidung – ob das die große Form ist oder eine harmonische Fortschreitung, ob Dynamik oder Farbe – alle Parameter werden im Dialog entschieden. Wir machen das, seit wir zwanzig sind, und es ist sehr beglückend.“

„Wir sind absichtslos von einem Kuhfladen in den nächsten gestiegen”

Mit seiner speziellen Besetzung, einer Klangbatterie aus Blech- und Holzbläsern, Streichern und Volksmusik-Saiteninstrumenten, eignet sich das Ensemble Musik aus der Vergangenheit an und überträgt sie in die Gegenwart. „Alles changiert zwischen Klassik, Jazz, zeitgenössischer Kammermusik und Popularmusik-Elementen. Aber das sind alles nur Etiketten. Wir machen unsere eigene musikalische Franui-Welt“, erzählt Schett. So wird auch Schuberts Lied „Der Wanderer an den Mond” sämtlicher Süße beraubt, zum Trauermarsch umgearbeitet, der zuerst in Jazz, Walzer und Volkslied badet, um dann zum Schluss in einem wilden Wirbeltanz zu enden – gemäß dem Franui-Motto: „Wenn du einen Trauermarsch vier Mal so schnell spielst, wird’s eine Polka.“

Dass dieses Aufbrechen und Weiterdenken nicht nur positive Reaktionen hervorrufen kann, wurde der Musicbanda Franui in den Gründungsjahren schmerzlich bewusst gemacht. Als Initiatoren und Festivalkapelle der „Villgrater Kulturwiese“, die jährlich mit rund vierzig Veranstaltungen Musik, Literatur, bildende sowie darstellende Künste in einem Festival vereinen wollte, stießen Andreas Schett und Franui vor Ort nicht auf Gegenliebe. Man störte sich an ihrer Kritik an bestehenden Traditionen, am Modernen, Neuen. Kunstwerke wurden zerstört und schließlich brannte 1996 das 370 Jahre alte Bauernhaus nieder, das den Trägerverein ihres Festivals beheimatete. Nachweislich Brandstiftung, der Täter: nicht auffindbar. Schett trat mit Franui die Flucht nach vorne an: „Wir sind ganz absichtslos von einem Kuhfladen in den nächsten gestiegen, sind beharrlich auf unserem Weg geblieben. Das ist ja etwas, das inneralpinen Bewohnern eigen ist – der Geburtsfehler Beharrlichkeit.“

Musicbanda Franui
Musicbanda Franui © Julia Stix

Sie hat sich ausgezahlt, diese Beharrlichkeit. Vom Friedhof im idyllischen Tal hat sich Franui den Weg gebahnt auf die „Tanzböden“ der großen Häuser: Ob Eröffnung der Mozartwoche Salzburg, Engagements bei großen Veranstaltern in ganz Europa oder das eigene Festival „Gemischter Satz“ im Konzerthaus Wien – alles ist handgemacht von der Komposition bis zum Instrumententransport.

Musik mit anderen Künsten verbinden

Über die Jahre hat sich gewissermaßen sogar etwas an der Besetzung getan: War man vorher ein reines Instrumentalensemble mit „verschwundenem Sänger“, das sich wortlos des Liedguts Schuberts, Brahms’ und Mahlers annahm, hat Franui mittlerweile Schwestern und Brüder im Geiste gefunden. Mit dem Puppenspieler Nikolaus Habjan entstand das eindrückliche, dem Wandergedanken verhaftete Programm „Doch bin ich nirgend, ach! zu Haus“; Sven- Eric Bechtolf, ehemals für die künstlerische Planung der Salzburger Festspiele verantwortlich, übernimmt in einem anderen Projekt das Rezitieren der von Schubert vertonten Texte. Und letztlich hat die Musicbanda für ihr Liedprojekt „Alles wieder gut“ in Florian Boesch nun doch einen Sänger gefunden, der nicht vor dem, sondern im Ensemble verwurzelt steht – und das, obwohl er nicht aus Innervillgraten stammt.

„Das ist die Vision von Franui: Dass Künstler – egal ob aus Musik, Literatur, bildender Kunst – zusammenfinden und sich zu einem Ganzen verbinden, so dass eine völlige Wahrnehmungsverschiebung oder kontextuelle Veränderung stattfindet. Das hat Franui als künstlerisches Programm“, fasst Andreas Schett zusammen. Und fügt nach einer Denkpause noch hinzu: „Wir wollen einfach die wunderschöne Musik begreifen – und uns zu eigen machen, weil wir sie lieben.“

Sehen Sie hier Musicbanda Franui zusammen mit dem Mozarteumorchester Salzburg:

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