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Filmmusikkomponist Joby Talbot im Porträt

Der Quereinsteiger

Der Brite Joby Talbot war lange Jahre Filmmusikkomponist, ehe er sich 2015 der Oper zuwandte. Jetzt ist seine Musik auch in Deutschland zu erleben

vonMatthias Nöther,

Das Telefonat mit Joby Talbot geht über Kontinente. Er sitzt in einem kleinen Tonstudio in Ashland, einer kleinen Stadt im Süden des US-Staats Oregon. Einer der zur Zeit erfolgreichsten britischen Filmkomponisten, der den Soundtrack etwa zu „Per Anhalter durch die Galaxis“ schuf, befindet sich nahe der Grenze zum Filmparadies Kalifornien – das passt. Doch der 46-Jährige komponiert an der US-Westküste keinen normalen Soundtrack – sondern Stummfilmmusik: eine Neuvertonung des deutschen Horrorfilms „Vampyr“. Zu Halloween in diesem Jahr soll der Streifen in einem restaurierten alten Klassiker-Kino in Los Angeles herauskommen. Talbot empfindet sich als natürlichen musikalischen Mitarbeiter des dänischen Meisterregisseurs Carl Theodor Dreyer. „Auch für den Film eines lebenden Regisseurs würde ich ja mein Bestes geben, warum nicht auch für einen verstorbenen?“

Das Erzählen lernen

Eine Stummfilmmusik, so Talbot, sei weniger weit von der Komposition einer Oper entfernt als die Kompositionen für den herkömmlichen modernen Tonfilm – dies lehrt ihn die Erfahrung aus seiner ersten Oper „Everest“, ein Einakter von siebzig Minuten, der 2015 höchst erfolgreich am Opernhaus von Dallas über die Bühne ging. Nun wird „Everest“ am Theater Hagen seine Deutschlandpremiere feiern. Jedoch schon lange bevor für Joby Talbot dieser erste Opernauftrag kam, auch lange vor seinen berühmten Ballettmusiken für London wie „Chroma“ und „Alice im Wunderland“, da hatte Talbot bereits solche Musiken zu alten Stummfilmen geschrieben, etwa für den russischen „Dying Swan“ von 1916. „Es war ein hervorragendes Training: Man lernt so viel über das Erzählen von Geschichten.“

Szenenbild aus "Alice's adventures in wonderland"
Alice’s adventures in wonderland/Royal Opera House London © Johan Persson

Dass Joby Talbot auch mal eine Oper schreiben sollte, war lange Zeit nicht naheliegend. Sicherlich – Talbot ist seit seiner Jugend als Hobby-Oboist auf hohem Niveau ein begeisterter Orchestermusiker. „Das meiste, was ich über das Instrumentieren weiß, habe ich gelernt, als ich mitten im Orchester saß.“ Ein sinfonisches Werk, das nur in einer unübersichtlichen Liste von Instrumentalstimmen auf dem Papier steht, noch einmal mit vielen Mitspielern zum Leben zu erwecken, das ist für ihn bis heute die Erfüllung. Doch dies geschieht nur noch in seiner Fantasie, denn Zeit für Orchesterproben hat er keine mehr. Gerade hat Joby Talbot seine Oboen überholen lassen: Sie sind nun schon mal spielbereit für seine Tochter. Die ist allerdings erst zwei Jahre alt. In ferner Zukunft liegt nun das klassische Musizieren in seiner Familie. Joby Talbot selbst hat sich freiwillig davon entfernt. Acht Jahre Gitarrist in einer Rockband: Mit Bruckner, Mahler, Schostakowitsch konkurrieren nun in Talbots musikalischem Geist die harten Beats.

Jede Sekunde zählt

Tatsächlich zeichnen sich Talbots Filmpartituren vor allem durch ihre rhythmische Schärfe aus, durch den immer präsenten Puls. Und auch für seine Oper „Everest“ wollte er auf diesen Puls nicht verzichten. Textdichter Gene Scheer nahm ein tragisches Ereignis am Mount Everest zum Ausgangspunkt für seine Oper: 1996 starben in einem einzigen Schneesturm acht Menschen. Talbot macht daraus ein inneres musikalisches Drama, die sich steigernde Dynamik der siebzig durchgehenden Minuten der Oper lässt seine filmmusikalische Erfahrung klar erkennen. „Der Rhythmus soll das Ganze wie ein Rad rollen lassen“, beschreibt Talbot. Und dann ist jeder Takt wichtig. Als der Sturm kommt, können die Bergsteiger nicht weiter. Sie sind in der Todeszone, es gibt kaum noch Sauerstoff. „Am Berg zählt jede Sekunde. Dieses Gefühl wollte ich festhalten.“

Mount Everest
Mount Everest © Theodor Lundqvist/gemeinfrei

Gegen diesen spannend rhythmisierten Cineasmus setzt Talbot etwas nicht Menschliches: Die Stimme des Berges, die erhabene, unangreifbare Macht der Natur hat er in eine fast experimentelle Musik gegossen. Sie spielt mit Zufälligem, mit der Natur des Geräusches. In seinen Filmpartituren konnte sich Joby Talbot so etwas nie leisten – und doch ist es dieses Neue, Unvorhersehbare, was am Ende jedem Komponisten unserer Tage Spaß macht. Man glaubt es Joby Talbot: Die Oper „Everest“ ist anders geworden als Filmmusik.

Sehen Sie den Trailer zu „Everest“:

https://youtu.be/Aw5x0mFDqA0

concerti-Tipps:

Bayerische Staatsoper München
Alice im Wunderland
Termine: 20.4., 4. & 5.5., 17., 22., 25. & 30.11.2018

Theater Hagen
Everest (DEA)
Termine: 5. & 18.5., 1., 8., 21. & 27.6., 1.7.2018

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