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Porträt Florian Boesch

Ausdruck und Auswahl

Bassbariton Florian Boesch hält Krenek für so wichtig wie Schubert.

vonRoland H. Dippel,

„Ich bin ein Textsänger“, sagt Florian Boesch. Bei einem Telefongespräch könnte man ihn eher für einen Radiosprecher mit kritischem Nachdruck halten als für einen der derzeit wichtigsten Lied-Interpreten. Eine Stimme, die sich weder bei Einheimischen noch bei den Hörern anbiedert. Boesch spricht gleichermaßen reflektiert und emotional.

Während er mehrfach von den für ihn wichtigen Begegnungen mit Nikolaus und Alice Harnoncourt erzählt, drängt sich ein anderer großer, knapp fünfzig Jahre vor Boesch geborener Liedgestalter in die Erinnerung: Dietrich Fischer-Dieskau. Dieser und der österreichische Bariton sind trotz ihrer parallelen Fachkompetenz in ihren sängerischen Mitteln wie Feuer und Wasser. Während Fischer-Dieskau mit fast tenoraler Stimme eine schöne Phrasierung der geschärften Konsonantenbildungen zu opfern bereit war, bedeutet Text für Boesch weitaus mehr als Sprache, Phonetik und Artikulation. Boesch bezeichnet sich zwar als „Textsänger“, aber er meint so etwas wie „Ausdruckspersönlichkeit“.

Spätes Debüt

Vor Kurzem wagte er sich mit seinem langjährigen Lied-Pianisten Malcolm Martineau an seine erste Auseinandersetzung mit Robert Schumanns „Dichterliebe“. Lange Zeit hatte Boesch Vorbehalte und deshalb auch Annäherungsschwierigkeiten gegenüber diesem Liederzyklus. Boesch konnte und wollte nicht der verbreiteten Meinung glauben, dass der Komponist – und literaturkundige Sohn eines Buchhändlers – in der Euphorie über seine Trauung mit Clara Wieck ein melodien- und sangesfrohes Missverständnis der Gedichte Heinrich Heines geschaffen hatte. Erst als sich für Boesch dieser Widerspruch löste, debütierte er mit dem „Pflichtstück“ für Liedexperten – da stand er schon fast dreißig Jahre auf den bedeutenden Konzertpodien und Bühnen.

Es traf den Richtigen, als Boesch 2014 den Österreichischen Musiktheaterpreis Goldener Schikaneder in der Kategorie beste männliche Nebenrolle für seine Auftritte als Tiridate in Händels „Radamisto“ im Theater an der Wien erhielt. Und es sagt viel über ihn, wenn Boesch Peter Konwitschnys „Zauberflöte“-Inszenierung an der Oper Stuttgart für die deutlichste und mit der für das Werk größten Überzeugungskraft hält. Konwitschny hatte die Texte nicht wie bei internationalen Besetzungen üblich zusammengestrichen, sondern jede Rolle in der Muttersprache ihrer Besetzung sprechen lassen. Boesch hält es demzufolge auch für ein Paradox, wenn eine Sopranistin mit ausländischem Akzent sich als Adele in der „Fledermaus“ mit dem österreichischen Dialekt quälen muss. Genauso skeptisch bleibt er in der Alten Musik gegenüber Beschreibungsetiketten wie „historisch informiertes“ contra „romantisches“ Klangideal. „Jede musikalische Leistung in Oper und Konzert muss in sich stimmig sein“, sagt Boesch, was auch für ihn selbst und seine „Kulturarbeit in der Abteilung Reproduktion“ gilt. Das führt mitunter zu Überraschungen wie Boeschs Basspartien in Joseph Haydns „Schöpfung“ mit Il Giardino Armonico. So aus dem Geist des 18. Jahrhunderts und des in Wien gepflegten italienischen Oratoriums wie unter der Leitung Giovanni Antoninis hörte man das bekannte Stück bisher nur selten. Diese Frische schafft Freiheiten und ist zugleich authentisch.

Florian Boesch und die Klassiker von morgen

Boesch kann von Händel zu Alban Bergs „Wozzeck“ und zu Haydn springen – mit einer Unbedenklichkeit, die genuine Opernsänger mit einem für ihre Karriere unerlässlichen Entwicklungsplan nur selten erleben. „Ich werde weder Wagner noch Verdi singen“, sagt Boesch. Das klingt auch wie eine große Erleichterung. Dafür ist er intensiv beteiligt am Auswahlverfahren, in dem sich aus dem riesigen Liedschaffen des 20. Jahrhunderts die Klassiker von morgen herauskristallisieren. „Es ist klar, dass ,Don Giovanni‘, ,Carmen‘ und ,Wozzeck‘ in 200 Jahren noch immer Gültigkeit haben. Im Lied muss sich das für jüngere Werke erst beweisen.“ Boeschs absoluter Lied-Favorit wurde Ernst Kreneks zwischen den Weltkriegen entstandener Zyklus „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“, der eine ganz andere musikalische Geografie bietet als Schuberts Seelendrama „Die Winterreise“. Das „Reisebuch“ versucht er überall unterzubringen, wo er zu Liedkonzerten eingeladen wird – wie in seiner fünfteiligen Elbphilharmonie-Residenz in dieser Saison. Diese Subjektivität gehört zu seiner Ausdruckspersönlichkeit und zu den Aufgaben eines bewussten Sängers.

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