Um die ganz großen Begabungen aus Österreich ist es in den letzten Jahren still geworden. Umso verrückter lechzt das Mutterland der Musik, das manchmal eher tantenhaft daherkommt, nach Franz Welser-Möst: 1960 in Linz geboren, in Wels aufgewachsen, daher der Künstlername. Der Maestro ist seit 2010 Generalmusikdirektor am Gipfelkreuz des Olymps: der Wiener Staatsoper. Aber klug genug, auch außerhalb der europäischen Grenzen seinen Verpflichtungen nachzukommen: Beim Cleveland Orchestra pflegt er seinen Chefposten und kommt im November damit auf Europatournee.
Die Wiener haben so ein Bonmot: Wenn er, die Kastenbrille unter den unsortierten Locken mittelmäßig gerade gerückt, auf die Bühne kommt, könnte man ihn auch für den Notenwart halten, der nachsieht, ob die Partitur richtig herum auf dem Pult liegt. Aber wenn er die Arme hebt, teilt sich mit: Nein, das ist der Dirigent. Dieses despektierliche Bild ist zur Anekdote verzerrt, weil Franz Welser-Möst längst die höheren Weihen des Dirigentendaseins empfangen hat.
Ein Kauz mit präziser Meinung
Müßig, seine Stationen und Gastspielorte aufzuführen – er hat überall dirigiert, ein Allroundgenie im Repertoire. Ein nachdenklicher Mann aber auch, wenn es um den Kulturbetrieb im Allgemeinen und die österreichische Schickeria im Besonderen geht. Denn Welser-Möst, der eigentlich zum Geiger bestimmt war, bis er 18-jährig einen schweren Autounfall hatte, nimmt selten ein Blatt vor den Mund. Er ist als brummiger Kauz bekannt, der sich gegen die dramaturgische Verflachung in Salzburg ebenso wehrt wie gegen schnell aufleuchtende Stars am eigenen Haus, die nach wenigen Jahren verglühen.
Franz Welser-Möst hat tatsächlich etwas von einem Archivar, denn er bewahrt eine alte Schule, die er nicht selbst begründet hat. Er will Zeit – zum Probieren, zum Entwickeln, zum Reifen. Für die Sänger, für seine Produktionen, für das Opernorchester, das er auch häufig als Wiener Philharmoniker dirigiert. Bei deren Neujahrskonzerten darf es dann auch mal ein bisschen Schlagobers sein, wie die Wiener ihre steife Sahne nennen.
Ansonsten umarmt Franz Welser-Möst das Publikum nicht gerade, er bleibt sperrig, versagt sich die extravagante Eleganz roter Teppiche mit feindseligen Küsschen. Viel wichtiger ist ihm, dass auch im Repertoirebetrieb die Qualität stimmt. Dafür stellt er sich auch gern mal zur 37. Vorstellung selbst in den Graben. Die Oper – sie ist sein Projekt. Es geht um die Musik, nicht um Eitelkeiten. Daher macht Franz Welser-Möst Komponisten auch so ungern an ihren Jubiläen fest, Zyklen findet er enzyklopädisch. All das ganze hysterisch-hyperventilierende Drumherum des Kulturbetriebs – es ist ihm fremd. Franz Welser-Möst mag keine Eventkultur, bei der es „nicht mehr um die Kunst geht, sondern um etwas anderes“.
Vermutlich macht ihn gerade das zur Identifikationsfigur, denn Welser-Mösts musikalischer Ansatz ist streitbar, aber überzeugend. Seine Interpretationen wirken alles andere als nüchtern, aber klar in der Formgebung. Hier eitelt kein Weltversteher allwissend an Partituren herum. Aus seinen Konzerten spricht eine erdverbundene Gewissheit, die sich frei macht von Spektakel, Künstelei und Sentimentalität. Er liest und deutet, was dasteht. Selbstbescheidung auf die Botschaft der Kreation – wohltuend dieser Hang zur Direktheit, auch wenn sie sicher nicht immer gelingt.
Längst kann sich Franz Welser-Möst auf Werke konzentrieren, die ihm wirklich liegen, er sagt dann gern, sie seien seine „Herzensangelegenheit“. Mit der orchestralen Präzisionsmaschine im kulturprovinziellen Cleveland wagt er sich an Neue Musik, obwohl das Publikum damit Probleme hat. Sie dürfen sagen, dass es ihnen nicht gefällt. „Das ist auch eine Form von Auseinandersetzung.“ Aber eben auch eine Form von Erziehung, Horizonterweiterung, Neugiererweckung, die Welser-Möst en passant erledigt, ohne intellektuellen Anpassungsdruck, nur mit innerer Überzeugung. Wahrscheinlich ist sie es, die Musiker wie Zuhörer gleichermaßen in den Bann zieht.