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Porträt Helmut Lachenmann

Im Zaubergarten der Geräusche

„Komponieren ist wie Sterben“, sagt Helmut Lachenmann. Doch seine Musik bereichert mehr denn je in unserem Konzertleben

vonKatharina von Glasenapp,

Sein Mädchen mit den Schwefelhölzern hat erst vor kurzem in Frankfurt eine viel beachtete Premiere erlebt, weltweit nehmen Orchester und Kammermusikensembles seine Werke in ihre Programme, in seiner Heimatstadt Stuttgart, wo der Komponist über Jahrzehnte an der Musikhochschule lehrte, richten vier Institutionen ein vierwöchiges Festival aus.  Seinen 80. Geburtstag, am 27. November, feiert Helmut Lachenmann im Frankfurter Holzhausenschlösschen mit dem berühmten Arditti Quartett und dem jungen DaphnisQuartett – natürlich im Gespräch über seine Musik und mit Aufführungen seiner Streichquartette.

Wobei der Jubilar längst keine Ehrentage mehr braucht, um gehört zu werden: Seine Musik ist angekommen im Konzertleben, auch außerhalb der auf Neue Musik spezialisierten Festivals und Ensembles. Aufgewachsen in einer kinderreichen protestantischen Pastorenfamilie, stand bei den Lachenmanns natürlich die klassische Musik von Bach, Mozart, Beethoven und den Romantikern im Mittelpunkt. Der Stuttgarter begann ein Musikstudium mit Theorie, Kontrapunkt und Komposition bei Johann Nepomuk David, dazu Klavier bei Jürgen Uhde. Prägend und das Vertraute erschütternd, wirkten die musikalischen Begegnungen bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik mit John Cage und Luigi Nono, dessen erster Schüler er 1958 wurde. Hier wurde auch die Basis für seine eigene Kompositionsarbeit gelegt: „Das habe ich von Nono gelernt: wie aus einer – ästhetisch – radikal umgepolten Umgebung Vertrautes so unvertraut stark und neu hervortritt. Und da wollte ich noch weiter gehen, bis hinein in die energetischen Wurzeln der Klangmittel selbst dort, wo dies die gewohnte Musizierpraxis sprengt.“ 

 

Ins Unbekannte vorstoßen

 

1962 tritt er selbst zum ersten Mal als Komponist bei der Biennale in Venedig und bei den Darmstädter Ferienkursen auf. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wirkt er als Dozent für Musiktheorie und Komposition in Stuttgart, Basel, Hamburg und Brasilien, gibt Meisterklassen und arbeitet mit den Interpreten seiner Werke. Pa-rallel zu seinem Werkkatalog mit Kammermusik und Orchesterwerken häufen sich auch die Preise und Auszeichnungen – 1997, im Jahr der Uraufführung seines Mädchen mit den Schwefelhölzern, erhält er mit dem Ernst-von-Siemens-Musikpreis eine der renommiertesten Kulturauszeichnungen. Mehrmals ist Lachenmann Composer in Residence, Ehrendoktorwürden und das Verdienstkreuz 1. Klasse folgen, 2015 schließlich der Deutsche Musikautorenpreis der GEMA für sein Lebenswerk. In seiner Dankesrede betont der Komponist seine „Bereitschaft und die Lust, als Komponist ins Unbekannte, Ungewohnte, auch Unberührte vorzustoßen.“

 

Bei aller Akzeptanz, die sein Werk gefunden hat: Von „Gewöhnung“ zu sprechen, würde seinen Intentionen  widersprechen, ist es doch sein Hauptanliegen, Musiker und Hörer neugierig zu machen. „Hören soll in meiner Musik immer wieder zum Wahrnehmungs-Abenteuer werden. Das bedeutet das Entdecken von völlig unvertrauten Klangmöglichkeiten, es bedeutet auch die Möglichkeit der Irritation beim Hörer, gar die Provokation: Provokation im wörtlichen – und ganz friedlich gemeinten – Sinne von ‚Hervorrufen‘.“

 

In der Tat gleicht seine Musik einem Hörabenteuer für offene Ohren: Da gibt es das feine Knistern, wenn Styroporteilchen aneinander gerieben werden. Da gibt es den Atemhauch, das Schnattern, Zittern, Schnalzen, wenn im Mädchen mit den Schwefelhölzern Kälte geradezu hörbar gemacht wird, da gibt es ein „dal niente“ an der Schwelle der Hörgrenze, das in den Aufschrei einer Klarinette mündet. Seine Oper, eine „Musik mit Bildern“, wird zum Klangtheater in einem umlaufenden Raumklang, es gilt, Klänge, Stimmen  und Instrumente zu orten und auf sich wirken zu lassen, einzutauchen in eine Welt „unerhörter“ Klänge.

 

Lachenmann geht an die Ursprünge der Instrumente und der Tonerzeugung, wenn er in Pression mit dem Druck des Bogens und der Finger auf die Saiten eines Cellos arbeitet oder in temA den Atemhauch des Flötisten, der Sängerin zum „Thema“ macht. Das sind die Grundelemente seiner „musique concrète instrumentale“, die er im Zusammenhang mit Pression so zusammengefasst hat: „Gemeint ist damit eine Musik, in welcher die Schallereignisse so gewählt und organisiert sind, dass man die Art ihrer Entstehung nicht weniger ins musikalische Erlebnis einbezieht als die resultierenden akustischen Eigenschaften selbst. Klangfarbe, Lautstärke und anderes klingen also nicht um ihrer selbst willen, sondern sie kennzeichnen, ja signalisieren die konkrete Situation: Man hört ihnen an, mit welchen Energien und gegen welche Widerstände ein Klang oder ein Geräusch entsteht.“ 

 

Immer wieder taucht er auf, dieser Wunsch, „ins Unbekannte vorzustoßen“ – es ist eine Lebensaufgabe für Lachenmann und wird in … zwei Gefühle … Musik mit Leonardo nach einem Text Leonardo da Vincis direkt thematisiert. Das Werk entsteht 1991/92 und ist Teil seiner Oper – zuvor wird dort die Kälte der Silvesternacht geradezu sinnlich erlebbar: Das Mädchen aus dem Andersen-Märchen versucht, mit den angerissenen Hölzchen ein bisschen Wärme zu bekommen. Beim Anreißen eines Streichholzes tauchen andere Bilder auf, eine heimelige Wohnstube, ein Kaufladen mit verlockenden Angeboten, die liebevolle Großmutter, die das erfrierende Kind zu sich holt.

 

Leonardos Text erzeugt gleichsam eine Parallelwelt zur kalten Andersen-Winternacht: Ein Wanderer irrt durch südliche vulkanische Landschaft, glühende Hitze und die Energie der Eruptionen prägen seine Umgebung. Vor dem Eingang zu einer dunklen Felsenhöhle verharrend, überkommen ihn zwei Gefühle, nämlich Furcht und Verlangen. Lachenmann formuliert in diesen die Grundgedanken seines Schaffens: „Furcht vor der drohenden Dunkelheit der Höhle, Verlangen aber mit eigenen Augen zu sehen, was darin an Wunderbarem sein möchte. An solche radikale Neugier richtet sich im Grunde jedes meiner Werke.“ 

 

Loslassen von klassischen Spieltechniken

 

Natürlich ist auch seine Textbehandlung eine andere, Worte erscheinen zerstückelt, aufgespalten in einzelne Silben und Buchstaben, die Energie, die Aura eines Textes scheinen darin gebündelt. Oder, wie der Komponist es formuliert: „Die beiden Sprecher des Leonardo-Textes in … zwei Gefühle… sind quasi sich ergänzende Bewusstseins-Hälften eines imaginären Wanderers und still staunenden Lesers.“

 

Lachenmanns Musik gehört sicherlich zum Schwierigsten, verlangt Loslassen von klassischen Spieltechniken und Hörgewohnheiten, neue Blickwinkel und Zusammenhänge. Doch auch für den Umgang mit der klassischen Musik, dem vermeintlich Vertrauten, wünscht sich der Jubilar diese neuen Blickwinkel, den frischen Zugang, der auch einer Mozartsymphonie so gut tut. Unermüdlich vermittelt er diese Überzeugungen, ob in der Arbeit mit Orchestern, mit Studenten,  die er in ihrem Suchen begleitet, oder mit Komponisten, die bei ihm studieren. Doch Epigonentum weist er weit von sich: „Jeder Komponist muss in seiner obligaten Einsamkeit seinen Weg ganz allein finden. Ich konnte keinem helfen, konnte sie allenfalls in ihrer  Selbstsicherheit irritieren … und sie beim einsamen Suchen freundschaftlich, kritisch-respektvoll begleiten. Komponieren ist wie sterben: man ist de facto völlig allein!“

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