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Porträt Helmuth Rilling

Werben für ein tieferes Verständnis der Musik

Der Dirigent Helmuth Rilling gilt als „Mr. Bach“ der Musikwelt. Manchmal stört ihn das.

vonMarie von Baumbach,

Die ständige musikalische Berieselung in Flughäfen findet Helmuth Rilling schrecklich. Denn die Wartezeit auf den Flieger verbringt er am liebsten mit dem Studium seiner Partitur – und dabei stört ihn die Musik aus den Lautsprechern ganz gewaltig. Rilling gilt als Koryphäe der deutschen Bach-Interpretation. Rund fünfzig Jahre seines Lebens hat er dem Werk des Komponisten gewidmet. Sogar sein Autokennzeichen lautet nach der Ortskennung: „JS-1685“ – entsprechend des Geburtsjahres. Bach hat ihn berühmt gemacht, mit Bach ist er um die Welt gegangen, nach Israel, China, Südamerika, Moskau, Russland oder Polen – schon zu einer Zeit, als es den Eisernen Vorhang noch gab.

Weltruhm mit der Stuttgarter Bach-Akademie

Dabei ist Helmuth Rilling immer im besten Sinne ein Kapellmeister geblieben, handwerklich perfekt, in seiner Arbeit nie sentimental oder geschmacklos. Rilling ist der Anti-Jet-Set-Maestro. Er nimmt sich Zeit. Hat klein angefangen und gründete, gerade einmal 20-jährig, 1954 die Gächinger Kantorei auf der schwäbischen Alb, östlich von Reutlingen. Bach? Nein, der spielte für ihn damals noch keine große Rolle. Doch plötzlich wurde dieser dann zum Schwerpunkt seines Schaffens: 1965 initiierte er das Bach-Collegium Stuttgart, 1970 das Oregon Bach Festival in Amerika und 1981 schließlich die Bach-Akademie Stuttgart, die er zu Weltruhm führte – kein Wunder also, dass da 2013 um seine Nachfolge ein Machtkampf entbrannte. Sich selbst hat er mit der Einspielung des Bach‘schen Gesamtwerks auf 172 CDs ein Denkmal gesetzt. Und doch leidet Rilling manchmal darunter, dass die Außenwelt ihn nur als „Mr. Bach“ wahrnimmt. „Müssen wir nur über Bach sprechen?“, seufzt er dann. „Ich habe noch so viel anderes gemacht …“

Rund 100 Aufführungen dirigiert Rilling pro Jahr. Von Bachs h-moll-Messe kennt er jede einzelne Stimme auswendig. Rilling hasst es, bei Aufführungen eine Partitur vor sich zu haben, fühlt sich durch sie vom Ensemble getrennt – von seinen Musikern, die ihm nicht nur im „Du“ nahe sind.

Fern ist ihm indes die historische Aufführungspraxis eines Nikolaus Harnoncourt, John Eliot Gardiner oder René Jacobs: Auch wenn ihn deren Arbeit interessiert, so ist dies doch nicht seine Welt und seine Idee von Musik.

Doch auch so verdankt die Musikwelt Rilling viel mehr als nur Bach: Uraufführungen von Penderecki oder Pärt sowie viele Wieder- und Neuentdeckungen. Er vergab Kompositionsaufträge an zeitgenössische Komponisten wie Wolfgang Rihm oder Tan Dun und versuchte, sie für die Auseinandersetzung mit geistlichen Texten zu gewinnen. Selbst hat Rilling dagegen nie komponiert: „Als Komponist muss man eine Berufung fühlen, etwas sagen zu wollen, die hatte ich nicht.“

In Gesprächskonzerten Musik den Menschen nahe bringen 

Ebensowenig hat er sich dem Tempo der Musikwelt unterworfen – und dafür gern auf viele Angebote verzichtet. „Für einen Meisterkurs irgendwo auf der Welt oder für ein Gesprächskonzert vor einer Gruppe junger, interessierter Musiker gewinnt man mich fast immer sofort“, sagt er. „Aber Händels Messias in irgendeiner amerikanischen Großstadt zu dirigieren – das lass‘ ich gleich absagen.“

Die so genannten „Gesprächskonzerte“ sind Rillings Erfindung und eine seiner Spezialitäten. Er gründete sie in Anlehnung an die Young People‘s Concerts seines großen Vorbilds Leonard Bernstein, verbindet mit diesen Musikanalyse und Konzert. „Schwäbischer Evangelist“ wird er daher auch gern genannt – und doch sieht  Rilling seine Aufgabe nicht in der Verkündung eines musikalischen Evangeliums: Vielmehr möchte er die Menschen zu einem tieferen Verständnis der Musik führen.

2013 hat Rilling seinen 80. Geburtstag gefeiert – am Credo aus seinen jungen Jahren hält er indes bis heute fest: „Musik darf nie bequem sein, nicht museal, nicht beschwichtigend. Sie muss aufrütteln, die Menschen persönlich erreichen und sie zum Nachdenken bringen.“

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