Dem Zufall eine Chance zu geben, ist eine unterschätzte Kunst. Welche Schönheiten daraus erwachsen können, lässt sich an Herbert Schuch beobachten. Beim demnächst erscheinenden Album „Go East!“ zum Beispiel begann alles mit dem Umstand, dass Schuch eine Zeit lang gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Pianistin Gülru Ensari, vor dem eigentlichen Üben erst einmal die Acht Walzer op. 6 von Paul Hindemith vierhändig spielte. Das Duo stellte verwundert fest, dass es von Hindemiths Walzer-Miniaturen gar nicht mehr weit ist zu jenen von Johannes Brahms, Opus 39. Und überhaupt: Was passiert eigentlich, wenn man diese beiden Zyklen aufbricht und daraus einen einzigen macht? Die Verschmelzung der beiden Zyklen mag in der Theorie befremdlich anmuten, das Hörerlebnis jedoch offenbart das Werk zweier Komponisten, deren kulturelle Herkunft denkbar fern der Wiener Walzerseligkeit war, die aber obendrein eine untrügliche Nähe zur östlichsten Metropole Mitteleuropas verbindet. Von dort aus blicken Schuch und Ensari noch weiter gen Osten mit der Klavierfassung für vier Hände von Strawinskys „Le Sacre du printemps” sowie einem Auftragswerk des türkischen Komponisten Özkan Manav, das aus zwei anatolischen Tänzen besteht.
Für Herbert Schuch sind die osteuropäischen Elemente, die sich auch in Form von Versatzstücken ungarischer Melodien und Rhythmen durch die Walzerkompositionen ziehen, nicht allzu fremd: 1979 geboren im rumänischen Banat, verbrachte er dort seine ersten Kindheitsjahre und siedelte 1988 mit seiner Familie nach Deutschland über. Für Schuch war es damals „ein bisschen wie heimkommen“, da er als Spross der in Rumänien lebenden deutschsprachigen Minderheit lediglich in seinen ersten Lebensjahren rumänisch sprach. Daher wirkten die eingespielten Werke anfangs auch fremdartig für ihn, „obwohl ich wegen meiner Vergangenheit durchaus einen Zugang zu ,ungeraden‘ Rhythmen habe. Trotzdem fühlte ich mich eher als staunender Betrachter und nicht wie jemand, der Bescheid weiß.“ In dieser Hinsicht war seine Frau eine wichtige Stütze, „die mir auch zeigen konnte, welche Art von Bewegungen bei den Tänzen gemacht werden.“
Die Duo-CD ist nicht das erste kammermusikalische Projekt des Pianisten, der als Teil eines Klavierquintetts 2012 den Echo-Klassikpreis für die beste Kammermusikeinspielung des Jahres gewann. „Das Schöne an solchen Zusammenarbeiten ist, dass man das Fremde entdeckt, gleichzeitig aber das Vertraute in sich selbst wiederfindet. Im Zuge der Einspielung von ,Go East!‘ etwa fielen mir plötzlich wieder Wörter und Phrasen aus dem Rumänischen ein, die ich längst vergessen habe.“
Angesichts des Gedankenreichtums, der eine tragende Säule in Schuchs Klavierspiel darstellt, versteht man auch, warum er gerne davon erzählt, dass ein Pianist mit seinem Instrument auch „sprechen“ muss. Es wirkt so, als seien für ihn Virtuosität, technische Brillanz und musikalische Intelligenz nur die Pflicht eines Musikers, auf die noch eine Kür folgen muss. In Schuchs Fall ist das die Fähigkeit, aus zusammengestellten Einzelwerken ein einziges, vollkommen neues Kunstwerk zu erschaffen.