Wenn man auf das erste Jahr der Corona-Pandemie zurückschaut, findet sich im Kulturleben viel Trostlosigkeit – aber mindestens genauso viel Kreativität. Denn natürlich drehen Künstler ohne Bühne und Publikum nicht still Däumchen, sondern verarbeiten diese sonderbare Zeit auf ihre ganz eigene persönliche Art und Weise.
Besonders produktiv in der Lockdown-Zeit war die in Berlin lebende Bratschistin Hiyoli Togawa. Als aufgrund der Corona-Beschränkungen immer mehr Konzertabsagen eintrudelten, startete sie kurzerhand ein eigenes Projekt für Neukompositionen. Sie trat in Kontakt mit vielen verschiedenen Komponisten, horchte nach, wie es ihnen mit der Pandemie erging. „Komponisten sind es gewohnt, innere Regungen zu Papier zu bringen, sie reagieren sehr feinfühlig auf ihre Umwelt und sind sensibilisiert dafür, eine Zeit wie diese in Töne zu gießen“, erklärt Togawa im concerti-Gespräch. Schließlich gab sie bei elf Komponistinnen und Komponisten Werke für Bratsche in Auftrag, die sie nun auf dem Album „Songs of Solitude“ versammelt hat.
Verschiedene Kulturen und Denkweisen
Und diese Zusammenstellung ist vielseitig und spannend geworden. Zum einen kommen die musikalischen Eindrücke aus verschiedenen Ländern auf vier Kontinenten, zum anderen aus unterschiedlichen Generationen. Viele der Komponisten bringen vor allem die Einsamkeit zum Klingen, Toshio Hosokawa etwa verbindet in dem sehr getragenen Stück „Solitude“ Zurückhaltung mit großer Wehmut, „Shadows“ von der Österreicherin Johanna Doderer schwankt zwischen Melancholie und Aufbegehren. Dagegen hat der Armenier Tigran Mansurian für Togawa eine liebevolle „Ode an die Stille“ geschrieben und zwischen strahlendem Violaklang und sehr sanften Bogenstrichen eindrucksvolle Pausen komponiert. „Die unterschiedlichen Ansätze machen für mich die Schönheit des Projekts aus, weil darin verschiedene Kulturen und Denkweisen zum Ausdruck kommen. So kann man Empathie entwickeln für jemand, der an einem ganz anderen Ort der Welt diese Pandemie auf eine andere Art erlebt“, erklärt Togawa.
Vom in London lebenden Gabriel Prokofiev stammen fünf „Impressionen der Selbst-Isolation“, technisch sehr anspruchsvolle Miniaturen, die mit teils schroffen Klängen den Frust vieler Menschen hörbar machen, vor allem aber auch die Ungewissheit, die die Corona-Zeit mit sich brachte. „Gabriel Prokofiev hatte in dieser Zeit seine drei Kinder zu Hause im Homeschooling und war sehr dankbar für diese Aufgabe. Es war für ihn wie ein Kanal, wo er einmal rauslassen konnte, was die Isolation mit ihm machte“, sagt Togawa, die hier eine sehr einfühlsame Erstinterpretin ist und die den neuen Werken mehrere Bach-Sarabanden gegenüberstellt. „Diese Musik war mir in der Zeit der Isolation sehr nahe, Bach ist für mich geistige Nahrung, Trost, Erdung und Zuversicht.“
Keine Scheu vor Experimenten
Die Corona-Situation sei natürlich auch für jene Menschen ein Einschnitt, für die Konzertbesuche zum Leben dazugehören: „Für mich stellte sich am Anfang des Lockdowns vor allem die Frage: Was ist als Musikerin meine Aufgabe, in einer Zeit, in der wir den Menschen nicht mehr dieses Live-Erlebnis anbieten können? Ein Konzert ist ja etwas, wo sich Menschen öffnen können, sich befreien von Dingen, die ansonsten innerlich stecken bleiben. So schenke ich jetzt mit dieser CD den Hörern Musik, durch die sie diese Situation vielleicht reflektieren und verarbeiten können.“
Zu diesem Geschenk gehört auch das liebevoll gestaltete Booklet mit kurzen Lockdown-Anekdoten und Fotos der Komponisten. Auch John Powell hat dafür aus Los Angeles ein – durchaus amüsantes – Privatfoto geschickt. Der Filmkomponist vertont normalerweise Hollywood-Blockbuster wie „Kung Fu Panda“ oder „Ice Age“ und nutzte die Auszeit offenbar für einen Frühjahrsputz. Sein rasantes Stück „Perfect Time for a Spring Cleaning“ ist vielleicht das heiterste auf dieser CD, komponiert für neun Stimmen, die Togawa Corona-konform natürlich alle selbst aufgenommen hat. „In einer Zeit, in der man nicht mit anderen musizieren kann, war das eine tolle Illusion, sozusagen mit mir selbst spielen zu dürfen.“ Während für viele Solisten eine Mehrspur-Aufnahme vermutlich ein Tabu darstellen würde, hat Togawa keinerlei Scheu vor Experimenten. Auch nicht davor, die eigene Stimme einzusetzen, wie es das Stück „Am Horizont“ des Finnen Kalevi Aho erfordert.
Über die Grenzen hinaus
Schon länger geht Togawa, die mit japanischen und australischen Wurzeln im Rheinland aufgewachsen ist, über die Grenzen ihres Instruments hinaus. So hat sie mit „Dance! Viola“ ein Programm entworfen, in dem sie selbst tanzt, ebenso das Format „Pinsel und Bogen“ für Viola solo und Videoinstallation, bei dem sie Musik und bildende Kunst miteinander verknüpft. „Es geht mir nicht darum, als Künstlerin einen vorgezeichneten Weg zu beschreiten, um einem bestimmten Genre gerecht zu werden. Wenn man so viele Kulturen in sich trägt, ist es auch ein Ding der Unmöglichkeit, sich auf eine Schublade zu beschränken. So lange sich eine Darbietung für mich echt anfühlt, so lange etwas authentisch durch mich hindurchfließt, möchte ich es gerne mit dem Publikum teilen.“