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Porträt Holger Falk

Befreiung von Zwängen

Konflikte und Umwege führten Holger Falk zu seinem ganz eigenen Verständnis des Sängers als schöpferischem Künstler.

vonPeter Krause,

Ein Bariton mit Bilderbuchkarriere ist er nicht. Holger Falk ging und geht seinen eigenen Weg. Und der beginnt als Knabensopran bei den Regensburger Domspatzen. Seine erste Lehrerin nach dem Stimmbruch ist mit Sigune von Osten in Würzburg dann zwar sogleich eine Spezialistin für Neue Musik. Doch zunächst geht er nach zwei Anfangsjahren im Chor ganz klassisch ins Ensemble der Oper Frankfurt. Durch erste Einladungen, zeitgenössische Musik zu singen, merkt er dann, dass er sich just in diesen für viele Sänger eher unbequemen Gefilden so besonders wohlfühlt: „Ich habe gespürt, dass ich mit neuen Werken besonders gut zum Ausdruck bringen kann, wer ich bin.“ Viele bedeutende Komponisten der Gegenwart entdecken Holger Falk als ihren idealen Interpreten und vertrauten ihm Uraufführungen an. Große Namen wie Peter Eötvös, Iannis Xenakis oder Georg Friedrich Haas gehören dazu. Nun hat Manfred Trojahn mit „Septembersonate“ bereits die dritte Oper für den Bariton geschrieben. Mit „Enrico“ an der Oper Frankfurt ging es los. Kurz vor dem Ausbruch der Pandemie konnte er noch die ihm von Trojahn auf den Leib und in die Stimme komponierte Mono-Oper „Ein Brief in Bonn“ aus der Taufe heben.

Durchdringung von Musik und Leben

Gerade studiert der ebenso gefragte Liedsänger mit „Septembersonate“ eine Oper ein, die exakt auf seine eigene Lebenssituation zu passen scheint: Ein Künstler reist in seine Geburts­stadt zurück, stellt sich einer Vergangenheit und seinem schattenhaften Alter Ego, das ihn mit der Frage konfrontiert: Wie wäre sein Leben verlaufen, wäre er geblieben und hätte das Geschäft seines Vaters übernommen? Jüngst ist Holger Falks eigener Vater verstorben. Die Durchdringung von Kunst und Leben weit abseits des Musealen im Musik­theater reizt Holger Falk. Die Reproduktion des immergleichen Repertoires ist weniger seine Sache. „Wir sollten in der Oper etwas verhandeln, das die Menschen bewegt.“ Es geht ihm um gute Stücke und neue Formen. Dabei möchte Holger Falk „die ursprüngliche Künstlerschaft von Sängern und Musikern“ wiederentdecken, will weniger ein perfekt mitlaufendes Rädchen im gut funktionierenden Getriebe sein. Er sucht den individuellen Zugang von Künstlern zu ihrer Kunst. Wofür brennt der Einzelne? Wie lässt sich die Rolle des bloßen nachschöpferischen Ausführens dessen, was andere wollen und vorgeben, beherzt weiten, um zur eigenen künstlerischen Produktivität zu gelangen? Genau hierzu inspiriert Holger Falk seine Gesangsstudenten an der Kunstuniversität Graz, wo er als Professor den Master für Gesang in „Performance Practice in Contemporary Music” entwickelt hat und leitet – ein echtes Novum in der Hochschullandschaft, die doch primär immer noch junge Menschen ausbildet, die den klassischen Kanon von Mozart und Puccini auf höchstem Niveau beherrschen – ein grundlegend konservativer Ansatz. Stattdessen wird bei ihm die interdisziplinäre Vernetzung des Gesangs zumal mit den Kompositionsklassen großgeschrieben.

Holger Falk kommt auf Umwegen zu sich selbst

Doch für Holger Falk, den genuin Neugierigen mit der heute ganz eigenen unabhängigen Haltung des Sängerseins, hätte zunächst auch alles anders kommen können. Als junger Tenor, der er zunächst war, kontaktierte er den legendären Franco Corelli, jenen italienischen „Tenore di forza“, der an der Seite von Birgit Nilsson einst wahre Schlachten um das Hohe C schlug. Falk ging zu Corelli nach Mailand, blieb für ein halbes Jahr in Italien, hoffte, nun selbst ein metallisch strahlender Heldentenor zu werden. Erst der amerikanische Coach Neil Semer, bei dem auch Barbara Hannigan studierte, brachte ihn dazu, seine Authentizität als Sänger und nun dezidiert als Bariton zu entdecken. Er befreit sich von den Zwängen falscher Erwartungen, kommt auf Umwegen zu sich selbst – „ein sehr künstlerischer Weg“, findet er, „weil der Konflikt selbst eine große Triebfeder für meine Kunst und für die Transformation meines Lebens war.“ Holger Falk sieht es als Gnade an, etwas tun zu dürfen, das so viel mit ihm zu tun hat. Und er gibt gern als Lehrer die Erkenntnis weiter, wie sehr man das phasenweise Scheitern doch als Quelle der Kunst nutzen kann.

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