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Porträt James Gaffigan

„Dafür bin ich zu vorsichtig“

Trotz früher Erfolge als Dirigent setzt James Gaffigan auf Bedächtigkeit

vonChristian Schmidt,

Stahlblaue Augen, lockiges Haar, Dreitagebart: James Gaffigan weiß, wie man sich in Szene setzt – und doch benutzt er das Schwiegersohn-Image nicht. Vielmehr hat sich der 36-jährige Dirigent als einer der wenigen waschechten US-Amerikaner in seiner Zunft mit harter Arbeit weltweit Erfolge erkämpft. Nach Studien in New England und Houston sowie Hospitationen in Aspen und Tanglewood lernte er beim Cleveland Orchestra seinen wegweisenden Mentor kennen: den Österreicher Franz Welser-Möst. „Das war mein großes Glück – musikalisch, aber auch menschlich“, bekennt der Jungdirigent offen – und stutzt dann. „Obwohl Glück ein sehr merkwürdiges Wort ist: Ich glaube nicht recht daran.“ Die Mutter des Glücks sei nämlich vor allem eine gute Vorbereitung – Welser-Möst wird’s gerne hören.

Vorsicht vor dem „Autopilot“

 

Nach seinen ersten Sporen erklomm Gaffigan mit Siebenmeilenstiefeln die Karriereleiter – und es sieht nicht so aus, als drohte er irgendwo abzustürzen. „Dafür bin ich zu vorsichtig“, sagt der gebürtige New Yorker mit gut abgeschmeckter Bescheidenheit: „Es sieht so leicht aus, große Orchester zu dirigieren, so entspannt. Aber die Gefahr besteht darin, mit dem schnellen Erfolg in eine Art Autopilot zu verfallen und Fehler zu machen. Einige meiner Kollegen loderten hell auf – und verbrannten.“ 

Wie aber schützt man sichvor solch flinker Übergröße? „Mein Vater war Außendienstler für einen großen amerikanischen Waschmittelkonzern. Er hasste den Job wegen der Leute, die ihn umgaben – ich habe gelernt, mich mit Menschen zu umgeben, die mich lieben.“ Das bewahre vor der Gefahr – und er könne sicher sein, stets gesagt zu bekommen: „Junge, das war bestenfalls ein Durchschnittskonzert, du solltest einen Schritt zurückgehen.“ Sehr gute und ihm liebe Menschen seien dies, „die mich mögen und beurteilen können“: Der beste Freund Jason Varvaro ist gleichzeitig auch sein Assistent, dazu kommt seine Frau – und natürlich die Lehrer Welser-Möst und David Zinman. „Sie haben mir eine große Repertoirekenntnis verschafft, für die ich ihnen sehr dankbar bin.“ Denn ein guter Lehrer sei jemand, der nicht versuche zu verbessern, sondern nur beobachte, inspiriere und die Flamme der Leidenschaft entzünden könne. 

Suche nach dem eigenen Weg

 

Inzwischen dirigiert James Gaffigan quer durch den Werkskanon fast alles, was ihm angeboten wird. Und obwohl Chef des Luzerner Sinfonieorchesters, mag er die Oper mehr: „Da konzentrieren sich die Leute auf die Bühne, ich bin Teil eines Ganzen, und es ist faszinierend, mit Sängern zu atmen.“ Seine nicht minder faszinierend leichtfüßige Schlagtechnik nimmt dabei allem, was er unter den Taktstock bekommt, die Schwere – und verrät doch gleichzeitig eine große musikalische Tiefe.

 

Denn auch wenn man es angesichts seines Arbeitstempos glauben könnte: Gaffigan ist kein oberflächlicher Notenfresser, auch das hat er bei Welser-Möst gelernt. „Bei neuen Werken deduziere ich vom großen Partiturbild zum kleinen Detail, bei bekannten Werken höre ich erst mal ohne Noten verschiedene Aufnahmen und nehme Fühlung auf“, schildert er seine Arbeitsweise. „Dann gehe ich mit der Partitur zum Klavier und versuche, meine eigene Balance mit dem Stück zu finden.“ Das Schwerste sei dabei indes, einen eigenen Weg zu suchen, ohne ständig das Rad neu erfinden zu müssen: Denn viele angebliche Referenzaufnahmen störten natürlich die eigene Empfindung. „Da hat die eigene Interpretation wohl etwas mit dem Alter zu tun“ – und nicht selten falle diese unterschiedlich aus oder hänge auch von äußeren Umständen ab. „Für dieses Problem habe ich noch keine Lösung.“ Seinen Weg wird er zweifellos dennoch weitergehen.

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