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Porträt Ingolf Wunder & Jan Liesiecki

Der Frühreife und der Spätzünder

Jung und begabt sind sie beide – und doch hätte der bisherige Weg der Pianisten Jan Lisiecki und Ingolf Wunder kaum unterschiedlicher sein können

vonTeresa Pieschacón Raphael,

„Sakermentsverfluchter Bub’, nit trocken hinterm Ohr und fuchtelt mit ‘n Spadi!“, hätte der Baron Ochs in Richard Strauss’ Rosenkavalier über diese zwei jungen Klaviervirtuosen Jan Lisiecki und Ingolf Wunder gesagt – auch wenn diese nicht wie Dirigenten herumfuchteln, sondern ihre Hände auf der Klaviatur virtuos einsetzen. 

 

„Don‘t call him a prodigy“, heißt es bereits aus dem Umkreis des kanadischen Klaviervirtuosen Jan Lisiecki. 17 Jahre ist er alt, eine Reihe von Wettbewerben hat er gewonnen und als jüngster Künstler in der Geschichte der Deutschen Grammophon einen Plattenvertrag eingeheimst. Dennoch mag der Junge mit den munteren Augen und Harry Potter Charme nicht ein Wunderkind genannt werden. „Es mag ja sein, dass ich ein großes Talent habe. Aber ich muss auch sehr hart dafür arbeiten.“ Und wenn überhaupt, so war doch „Mozart ein Wunderkind und nicht ich“. Außerdem könne man vieles erst nach dem eigenen Tod beurteilen, sagt der Teenager doch etwas altklug. Kein Wunder, wenn man von Klein auf in der Öffentlichkeit steht. Ganze fünf Jahre war er alt, als der Kanadier mit polnischen Wurzeln an das Konservatorium seiner Heimatstadt Calgary kam. Und neun, als er erstmals mit dem Orchester öffentlich auftrat. Im Rekordtempo eroberte er die Konzertsäle der Welt, trat in New York, Tokio, München und Paris auf. „Ein Musiker, wie es ihn nur zwei Mal in hundert Jahren gibt“, schwärmt der berühmte Geiger und Dirigent Pinchas Zukerman.

Bei Ingolf Wunder fiel der Startschuss später

 

Solche Lorbeerkränze wurden Ingolf Wunder als Jugendlichen nicht geflochten. Im Gegenteil: als selbsternannter „Spätzünder“ fing der gebürtige Klagenfurter und Sohn eines Kärntner Lehrerehepaars seine Klavierausbildung erst mit 14 Jahren an – nach einem eher leidenschaftslosen Violinstudium. „Ich war Feuer und Flamme! Und auch technisch hatte ich nie Probleme, ich habe sie einfach alle imitiert, Horowitz, Rubinstein, Richter. Das war lustig.“ Als man ihn fragte, warum er eine Etüde so schnell spiele, sagte er: „Ja, weil ich’s kann.“ („Was so ein Bub‘ schon für ein vorlaut Mundwerk hat!“, hätte der Baron jetzt gesagt).

Kein Wunder: Erfolg beim zweiten Anlauf

Unerschrocken wagt Wunder nur wenige Jahre später den ersten großen Soloauftritt in Paris im Théâtre des Champs-Elysées mit dem dritten Konzert von Prokofjew. In Frack und Lackschuhen und ist kaum 17 Jahre alt. Er spielt es gut. Und fast hätte man damals meinen können, ein Star sei geboren. So begeistert sind die Kritiker seinerzeit. Doch die Einladungen bleiben aus. Weder die Carnegie Hall noch eine Plattenfirma klopft an. Wunder ist enttäuscht und will es einfach nicht glauben, dass die Welt nicht auf ihn wartet. 2005 stellt er sich dem Warschauer Chopin-Wettbewerb, dem härtesten und ältesten Klavierturnier der Welt. Da ist er gerade mal zwanzig Jahre alt. Doch die Jury deutet seinen heute noch auf YouTube zu erlebenden fulminanten Auftritt, in dem es dramatisch nur so rauschte und funkelte, lediglich als zirzensisches Handgemenge. Und so kommt er nicht einmal unter die drei ersten Finalisten. Tollkühn, übermütig sei er damals gewesen, meint Ingolf Wunder heute. Und habe gleichzeitig auch gewusst, dass er nicht aufgeben werde. 2008 begegnet er Adam Harasiewicz, „Meister Harasiewicz“, wie Ingolf Wunder den Chopin-Guru nennt. Mit ihm kommen die Motivation und der Erfolg zurück.

Beim Chopin-Wettbewerb 2010 schließlich überholt er sie alle, auch die Siegerin, die Russin Julianna Awdejewa und landet trotzdem auf dem zweiten Platz. Heftige Debatten folgen, wie seinerzeit beim Rücktritt von Jurorin Martha Argerich, als man ihren Favoriten Ivo Pogorelich nicht mal bis ins Finale ließ. Das Debakel beim Wettbewerb hat auch den heute 27-jährigen Ingolf Wunder nicht geschadet, ganz im Gegenteil, seine Karriere kommt erst jetzt so richtig in Schwung und schreitet solide voran. Anfang des Jahres ist nach einer Chopin-CD seine zweite CD bei der Deutschen Grammophon erschienen, die „300“ heißt, weil er darauf Werke aus drei Jahrhunderten spielt, von Scarlatti bis zum „Star Wars“-Soundtrack. Im nächsten Jahr soll das erste Klavierkonzert von Tschaikowsky erscheinen.

Ein junges Kind mit „alter Seele“ spielt Chopin

Derweil verweilt der zehn Jahre jüngere Lisiecki in der schwierigen Position zwischen Wunderkind und heranwachsendem Musiker. „Ich fühle mich oft wie ein Kind, aber viele sagen, ich habe eine alte Seele.“ Er weiß, dass die schönsten Vorschusslorbeeren verwelken, wenn die pianistische Entwicklung stagniert. Es scheint, als wolle Lisiecki keine Fehler machen. Und so klingt manches in seinem Spiel etwas steif, kommt nicht ins Schwingen und ist so brav wie der Anzug und die Fliege, mit der er auftritt. Für seine erste CD wählte er Mozarts Klavierkonzerte Nr. 20 und 21: „Ich wollte nicht mit einem großen Knall, einem technisch brillianten, protzigen Stück beginnen.“ Im Frühling geht er mit der Philharmonia Prag unter Leitung von Jacub Hrusa auf Deutschland-Tournee mit Chopins Erstem Klavierkonzert, ein Werk, das er bereits mit 15 auf CD einspielte und das heute auf iTunes zu erwerben ist. Ironie der Geschichte: Auch Ingolf Wunder ist Anfang Mai mit dem gleichen Werk unterwegs in Berlin, allerdings mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Kazuki Yamada. Da darf man gespannt sein.

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