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Porträt Jerusalem Quartet

Ohne Pelz und Juwelen

Das Jerusalem Quartet widmet sich mit Vorliebe Schostakowitsch

vonChristian Schmidt,

Jerusalem Quartet – auf den ersten Blick wirkt der Name wie eine politische Demonstration. Doch das Streichquartett hat sich lediglich nach dem gemeinsamen Studienort benannt, an dem seine Gründungsmitglieder Freundschaft schlossen. Der Cellist Kyril Zlotnikow und die beiden Geiger Alexander Pawlowsky und Sergej Bresler waren schon Stimmführer im Hochschulorchester von Jerusalem gewesen, Ori Kam stieß später als Bratscher hinzu. Nach einigen wichtigen und prägenden Meisterkursen und Preisgewinnen wurde das Quartett schnell auf berühmten Festivals herumgereicht und spielt inzwischen mit breitem Repertoire an den allerersten Adressen der internationalen Musikwelt. Ein vorläufiger Höhepunkt war in diesem Frühjahr die Grammophone-Nominierung zum „Künstler des Jahres“. In Hamburg setzen die vier jungen Musiker ihren Schostakowitsch-Zyklus in der Laeiszhalle fort.

 

Dessen Erfolg kommt nicht von ungefähr, denn sein Geheimnis liegt in dem ganz besonderen Ton, der das Quartett so einzigartig macht. Einerseits von der russischen Schule geprägt, schmückt die internationale Erfahrung und Fortbildung die künstlerische Genese der Jerusalemer Weltbürger. Andererseits konzentrieren sich die Musiker, von denen drei in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden und einer russische Wurzeln hat, ganz auf ihre „reine musikalische Erfahrung“, wie es Bratschist Ori Kam ausdrückt. „Ein Streichquartett ist im Idealfall ein einziges Instrument. Es dauert sehr lange, das gleiche Gespür zu haben.“

 

Mit einer gemeinsamen Stimme

 

Das Jerusalem Quartet hat, wo immer es auftritt, die Balance gefunden, als ob es mit einer Stimme spräche. So entstehen manches Mal geradezu magische Momente, weil zwischen den Musikern über die Jahre jedes Detail in der Komplexität der Kommunikation ausgewogen wurde. „Ich glaube, das Publikum merkt, dass wir wirklich keine vier Solisten mehr, sondern musikalisch miteinander verschmolzen sind“, glaubt Ori Kam. Längst könnten die vier an irgendeiner Hochschule Professoren sein, aber sie sind noch jung, genießen ihren künstlerischen Höhenflug.

 

Diese Qualität hat sich längst herumgesprochen bei den Liebhabern direkter Wirkungen von der Partitur ins Ohr. Die Säle füllen sich vor allem mit Kennern, meint Bratscher Ori Kam: „Zu Streichquartett-Konzerten kommen die Leute ohne Pelz und Juwelen – sondern wirklich um der Musik willen. Hier erleben sie kein Event, sondern wollen die Musik erforschen, die sie meistens schon gut kennen.“

 

Repertoire, in dem sie zu Hause sind

 

Das eint das Publikum mit den Musikern, die gern die Werke in den Vordergrund stellen und nicht sich selbst. „Unsere Mission ist, die Musik ehrlich und authentisch durchkommen zu lassen“, sagt Ori Kam. Möglichst pur. „Das ist vielleicht das Schwierigste an unserem Beruf.“ Frei von aller aufgepappten Attitüde zu sein. Das Quartett scheint überhaupt nur Musik zu spielen, von der es wirklich etwas versteht, äußerlich wie innerlich. Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, unterwirft sich aber bei so manchen Kollegen doch eher dem kommerziellen Erfolgsdruck. In Kürze bringt das Jerusalem Quartet schon sein elftes Studioalbum heraus. Slawisches Thema wiederum: Janáček und Smetana.

 

Weltweit unterwegs mit Schostakowitsch

 

Dass die vier Herren nicht nur nach Deutschland, sondern zum Beispiel auch in die USA für Zyklen mit allen Schostakowitsch-Quartetten eingeladen werden, liegt natürlich an ihren Wurzeln. Ihre Annäherung ist intuitiv russisch. „Wir haben tiefe und sinnreiche Assoziationen mit dieser Musik“, berichtet Ori Kam. „Folkloristische Zitate erkennen wir zum Beispiel sofort, wissen aber auch um ihre komplizierten kulturellen Bedeutungen.“ Gleichwohl bezweifelt der Bratscher eine „politische Funktion“ von Schostakowitschs Musik. „Ich glaube, Musik ist immer erst einmal abstrakt, jeder Zuhörer verknüpft dann die Klänge mit seinen eigenen Erfahrungen. Das kann wiederum ein sehr machtvolles Werkzeug sein – und wird hin und wieder auch missbraucht.“ Beim Jerusalem Quartet paart sich wohl eher die wissenschaftliche Neugier mit der Sensibilität für die eigene Geschichte.

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