Innerhalb der nicht gerade kleinen Münchner Orchesterlandschaft gibt es einen Klangkörper, der sich seit inzwischen dreizehn Jahren besonders mit der jüdischen Kultur befasst. Zunächst nach dem Entstehungsort als Orchester am Jakobsplatz bezeichnet, gab es sich dieses Jahr den Namen Jewish Chamber Orchestra Munich (JCOM). Die Beteiligten erhoffen sich davon einen internationaleren Klang. Gegründet hat die Formation Dirigent Daniel Grossman, der diese bis heute leitet.
Der Weg des Jewish Chamber Orchestra Munich zur Filmmusik
Schon 1999 hatte er erstmals die Idee einer solchen Gruppe. „Mich hat es gestört, dass die jüdische Gemeinde in so einem Hinterhof ist“, erinnert er sich. Als diese dann 2005 aus den alten Räumen in das neue Zentrum am Jakobsplatz mit Synagoge und Museum zog, bot sich die Gelegenheit. Grossman begann, ein Kammerorchester aufzubauen. Gab es anfangs noch Fluktuation, hat sich in den letzten zehn Jahren eine relativ stabile Besetzung etabliert. So lange sind auch der Erste Violinist Sándor Galgóczi und die Erste Viola-Spielerin Charlotte Walterspiel dabei.
Oft haben sie erlebt, wie intensiv sich Zuhörer mit der Musik auseinandersetzen. „Den Dialog mit dem Publikum spürt man“, stellt Galgóczi fest. Es sind viele Werke jüdischer Komponisten, etwa von Erwin Schulhoff, Gideon Klein oder Paul Arma im Repertoire, die während der NS-Diktatur verfolgt oder getötet wurden. Grossman ist selbst jüdischer Herkunft, ebenso wie einige der Musiker. Er legt Wert darauf, nicht nur die tragischen Geschichten in den Vordergrund zu stellen: „Das ist ungerecht den Komponisten gegenüber, denn sie hatten ein Leben davor“. Irgendwann kamen Stummfilme dazu. Meist waren die Regisseure oder Komponisten Juden. Inzwischen hat das JCOM unter anderem zu „Der Student von Prag“, „Das alte Gesetz“, „Das neue Babylon“ und zu „Nacht und Nebel“ musiziert. Für letzteren Film über das Konzentrationslager in Auschwitz komponierte einst Hanns Eisler die Musik. „Alle waren fix und fertig“, resümiert Grossmann die Stimmung nach dem Filmkonzert. Zuletzt spielte das Orchester in einem „Tatort“-Krimi von Dani Levy ein jüdisches Orchester aus den USA. Dort konnten sie in einer vergrößerten Besetzung auch Werke von Marcel Tyberg und Viktor Ullman für Sinfonieorchester spielen.
Kristallisationspunkte in der ganzen Welt
Zwar wählt Grossmann das Repertoire, trotzdem fühlen sich die Musiker als „denkende Mitglieder“ angesprochen, stellt Charlotte Walterspiel fest. „Wir entdecken ständig neue Werke“, berichtet Grossman. Erst wenige Stunden zuvor war er zu Besuch beim 60-jährigen Enkel des Komponisten Hans Winterberg. Womöglich erschließt sich wieder eine musikalische Quelle. Zugleich will das Orchester dazu beitragen, dass neue Werke entstehen. Sara Nemtsov hat für das JCOM geschrieben, ebenso Moritz Gagern, dessen Stück „Nigunim“ an die jüdische Klezmermusik anknüpft.
In den vergangenen Jahren war die Formation einige Male auf Konzertreise. In Israel wurden sie vor allem als deutsches Orchester wahrgenommen, spielten Joseph Haydn, Wiener Klassik. Die dortige Kultur erlebte Grossman vor allem als eine israelische, anders als das Judentum in der Diaspora. Das JCOM, selbst international besetzt, machte sich auf Spurensuche. In den usbekischen Städten Taschkent und Buchara, einst wichtige Zentren jüdischen Lebens, spielten sie für die heute kleine Gemeinde. In Moldawien, Ungarn, aber auch China wurden sie fündig, knüpften Kontakte nach Kanada und Amerika. „Das hat uns umgehauen, was es für Kristallisationspunkte in der ganzen Welt gibt“, so Walterspiel. Das Orchester möchte seine Konzerttätigkeit ausbauen.
Sehen Sie hier das Jewish Chamber Orchestra Munich unter der Leitung von Daniel Grossmann: