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Porträt Julian Rachlin

Der Geiger der aus der Tiefe des Stadions kam

Der grüne Rasen war sein großer Traum – doch dann entschied sich Julian Rachlin für eine Karriere mit der Violine

vonChristoph Forsthoff,

Als kleiner Bub war das immer mein ganz großer Traum: Rauszulaufen aufs Feld und empfangen zu werden mit dem Beifall von 50 000 Menschen …“ Zum Jubel von 50 000 hat’s für Julian Rachlin zwar nicht gereicht – 2 000 Besucher indes applaudieren dem Wahl-Wiener immer wieder bei seinen Auftritten in großen Städten. Und dass es nicht mehr sind, liegt schlicht daran, dass sich der gebürtige Litauer Mitte der 80-er Jahre dann doch gegen das runde Leder und für die Geige entschied: „Eigentlich wollte ich da in einen Fußballverein gehen, aber meine Eltern sahen die Gefahr, dass ich mir alles Mögliche hätte brechen können und an der Violine ausgefallen wäre …“

Was den Geiger indes bis heute nicht vom Kick in der Freizeit abhält, vor allem aber nicht vom Besuch im Stadion und Kontakten zu Ballkünstlern aus verschiedenen Nationen. „Es gibt da viele Parallelen zwischen uns Musikern und den Fußballern“, meint Rachlin. „Denn auch als Solist muss ich bei der ersten Probe mit dem Orchester tipptopp vorbereitet sein, die Disziplin muss stimmen, und ich muss zu einer bestimmten Zeit, nämlich im Konzert, Höchstleistungen bringen – da interessiert dann keinen Besucher mehr, wie gut ich vorher im Training war.“ Ob dies wohl sein Jugendidol Hans Krankl während der eigenen aktiven Laufbahn auch immer so gesehen hat?

„Bei uns wirst du angespuckt und mit Bierbechern beworfen“

Egal: Inzwischen zählt der österreichische Held von Cordoba, als der Stürmer die Deutschen mit zwei Toren aus der WM ’78 schoss, jedenfalls zu Rachlins Freunden und ist nicht selten bei seinen Wiener Konzerten als Zuhörer dabei. Beethoven und Mendelssohn gefielen dem Fußballer dabei am besten: „Atonales ist nicht so sein Ding.“ Am stärksten beeindruckt allerdings sei Krankl von den Konzertsälen, erzählt der Geiger: „Das ist schon eine ziemlich edle Kulisse, wo Du arbeitest, hat er gemeint – bei uns in den Stadien wirst du angespuckt und mit Bierbechern beworfen …“

Nun, dazu gäbe es bei dem Musiker allerdings auch in der Tat keinen Grund: Hat sich der Saiten-Virtuose doch längst in die erste Geigen-Liga empor gespielt, fasziniert gleichermaßen durch ausgefeilte Technik, Brillanz und Kantabilität. Schon mit 13 Jahren gewann er den „Young Musician of the Year“-Preis des Eurovisionswettbewerbs und erhielt daraufhin 1989 von Lorin Maazel eine Einladung zur Eröffnung der Berliner Festwochen. Er debütierte als jüngster Solist, der je mit den Wiener Philharmonikern zusammen gespielt hat, wurde bereits mit 24 Professor am Wiener Konservatorium – und ist bis heute leidenschaftlicher Fan von Rapid Wien.

Saitensprünge sind erlaubt: Es darf auch mal Tango sein

Obendrein hat Rachlin früh begriffen, dass im Medienzeitalter nicht allein die musikalische Qualität zählt: Seine bisweilen diabolische Mimik des ungezügelten Star-Virtuosen ist eine Schau für sich … und faszinierte offenbar auch den französischen Schauspieler und Regisseur Gérard Depardieu, der eigens für Rachlin eine Rolle ins Drehbuch des ZDF-Vierteilers „Napoleon“ schreiben ließ – als Teufelsgeiger Paganini. Offen zeigte sich der Musiker indes auch für andere Pfade abseits der Klassik: Sei es bei Auftritten mit dem Streichtrio „Triology“, dessen Spektrum von der Filmmusik bis zum Tango reichte, oder auch bei Projekten mit dem New Age- und Soundtrack-Musiker Vangelis aus Griechenland: „Vangelis ist ein begnadetes Genie mit ganz feinem Gespür für die Musik!“ Gerade auf letzteres legt er nämlich bei allen filmischen Seitensprüngen, instrumentalen Saitenwechseln zur Viola, Ausflügen ans Dirigentenpult und musikalischen Gratwanderungen großen Wert: „Billiges und Geschmackloses“ käme für ihn nicht in Frage, so der Hochleistungs-Violinist – seine „große künstlerische Verantwortung“ ist ihm wohl bewusst.

Einen klaren Trennstrich zieht er denn auch zu vermeintlichen Kolleginnen wie Vanessa Mae: „Sie macht eine tolle Show, aber mit Klassik hat das nichts zu tun.“ Und, fügt er mit leichtem Unmut an, im Grunde sei es „schon etwas beleidigend, wenn für viele Leute Vanessa Mae und André Rieu die berühmtesten Geiger der Gegenwart sind“.

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