Seit ein paar Jahren scheint der Hype nicht abzureißen, Werke großer klassischer Komponisten neu zu interpretieren. Komponisten und Solisten, aber auch DJs, Bands und Musikproduzenten unterschiedlichster musikalischer Herkunft bearbeiten auf verschiedene Weisen berühmte Werke der (klassischen) Musikgeschichte. Da werden schon mal Beethovens Sinfonien und Mozarts Violinkonzerte in elektronische Klangcollagen verpackt oder Vivaldis berühmte Vier Jahreszeiten gänzlich neu komponiert. Doch was genau steckt hinter diesem Trend, der bereits in den 1930er Jahren mit Alec Templetons Jazz-Fuge „Bach Goes To Town“ begann? Die Antwort lautet meistens, junge Menschen, die bisher wenig oder gar keinen Kontakt zu klassischer Musik haben, für die Klassik zu begeistern.
Gefragt und streitbar zugleich: der Recomposed-Trend
Auch der Pianist Chad Lawson, der am renommierten Peabody Conservatory in Baltimore und am Berklee College of Music studierte und bereits 2014 mit seinem Album „The Chopin Variations“ einen Beitrag zum Recomposed-Trend leistete, sieht darin seine Motivation. Auf dem Album „Bach Interpreted“ bearbeitet er nun die Musik Johann Sebastian Bachs, indem er Choräle des barocken Meisters in einer Kombination aus Originalwerk, freier Improvisation und Neuinterpretation in einem sphärisch-melancholischen Klanggewand erscheinen lässt. Dabei besteht kein Zweifel, dass Lawson der Musik Bachs mit großem Respekt begegnet, allerdings muss hinterfragt werden, ob er (und seine Recomposed-Kollegen) das gesetzte Ziel, eine neue beziehungsweise jüngere Zielgruppe zu generieren, erreicht oder verfehlt. Lawsons Erfolg scheint seinem Konzept zunächst Recht zu geben. Im September 2015 erreichte sein Album mit modernen Interpretationen von Chopin-Werken sogar die Spitze der amerikanischen Billboard Charts.
„Es kommt drauf an!“
Doch die Frage bleibt bestehen, ob ein Album mit zeitgenössischen Interpretationen der passende Einstieg in die Welt der Klassik für jemanden ist, der bislang nicht mit den Originalwerken vertraut ist? Eine Antwort darauf ist wahrscheinlich schwierig, sicherlich besteht jedoch wenigstens die Gefahr der Verwirrung. Es ist nicht so, dass viele der Neuinterpretationen wenig überzeugend klingen. Es ist auch nicht so, dass sie kompositorische Mängel aufweisen. Aber bleibt nicht der Verdacht, dass die Musik innerhalb dieses neu entstehenden Genres nur für Klassik-vertraute Hörer verständlich ist? Eine Antwort könnte lauten: Es kommt drauf an! Wenn es sich beispielsweise um elektronische Tanzmusik handelt, die mit Elementen klassischer Werke arbeitet und welche im Club-Kontext tanzbar sein soll, ist es völlig unerheblich. Ebenso verhält es sich bei massentauglicher Popklassik, deren Zielgruppe erklärtermaßen (und auch nicht abwertend gemeint) „ungeübte“ Klassikhörer sind. Etwas unverständlich wird es aber dann, wenn beispielsweise der Komponist Max Richter sagt, Vivaldis „Jahreszeiten“ hätten durch ihre häufige Verwendung in der Popkultur ihren „Zauber verloren“, weshalb es nötig gewesen sei, „eine total neue Version“ zu komponieren. Die Antwort auf die Frage, ob die „Generation Spotify“ den scheinbar verlorengegangenen Zauber klassischer Werke durch diverse Recomposed-Projekte wiederfindet und schließlich nach den Originalen schaut, bleibt abzuwarten. Auf dem Weg dahin erwarten uns jedoch sicher weitere spannende Bearbeitungsprojekte.
Sehen Sie in nachfolgendem Video Chad Lawsons Interpretation des Präludiums in C-Dur von J.S. Bach: