Opern-Coach im Fach „Schöner sterben“ könnte Kristīne Opolais sein. Was der lettischen Sopranistin offenbar selbst gerade bewusst wird, denn die Musikerin kann sich ein Lachen nicht verkneifen, als sie feststellt, wie hin und weg das Publikum regelmäßig ob ihrer zutiefst dramatischen Bühnentode ist – sei es nun als Cio-cio San, Tosca, Manon oder Mimì. Wenn es, wie bei Puccini üblich, im letzten Akt mit der weiblichen Hauptfigur zu Ende geht, läuft die viel Umjubelte und Geehrte stimmlich und darstellerisch zur Höchstform auf. „Es ist wie bei einem Phönix. Ich muss auf der Bühne sterben, um ein neues Leben zu erhalten, vom nächsten Tag an.“ Mittlerweile ist ihr Lachen aufmerksamer Nachdenklichkeit gewichen, binnen weniger Sekunden wechseln die Stimmungen ihrer Miene – und doch bleibt, bis auf einige Momente, meist etwas Unnahbares, wenig Greifbares.
Womöglich gibt sie zu viel
Natürlich ist das herzerweichende, verzweifelte Kämpfen bis zum Dahingerafftwerden kräftezehrend, ist Opolais nach einem solchen Auftritt stets erschöpft. Dass sie womöglich zu viel gibt, hat sie schon öfter gehört, doch heitere Rollen öden sie an. „Ich wollte nie auf der Bühne Spaß haben.“ Vielmehr will die am Rigaer Konservatorium und bei Margreet Honig in Amsterdam ausgebildete Sängerin dort stets einen 200-Prozent-Auftritt bieten – wenn es sein muss, auch binnen kürzester Zeit. Schon mehrmals eilte sie herbei, wenn plötzlich der wichtigste Sopran fehlte: 2010 kam es so zum Debut als Rusalka an der Bayerischen Staatsoper, 2014 legte sie gar eine Doppelpremiere an der Met in New York binnen 24 Stunden hin – an einem Abend als Madama Butterfly, tags darauf dann als Einspringerin in La Bohème. Was ihr zwar ausgezeichnete Kritiken bescherte, doch wirklich glücklich ist sie über solche Hauruckaktionen nicht. Entsprechend hielt sich ihre Begeisterung zunächst auch in Grenzen, als sie vergangenen Herbst kurz vor der Abreise nach New York erfuhr, dass in München dringend eine Manon gebraucht würde: Wegen Unstimmigkeiten mit Regisseur Hans Neuenfels war Anna Netrebko kurzfristig abgesprungen.
Indes: Einmal in einer Produktion von Neuenfels zu arbeiten, obendrein mit Jonas Kaufmann – das war für Opolais doch Grund genug, die Rolle zu übernehmen. Ein idealer Bühnenpartner sei der Startenor, mit dem sie ein intuitives Verständnis teile: „Wir können uns auf der Bühne treffen und noch am selben Abend die Premiere zusammen singen.“ Ob solch ein charismatischer Gesangspartner ihren Gatten, den Dirigenten Andris Nelsons, eifersüchtig macht? Schmunzelnd winkt die Lettin ab: Keine Spur – bei aller Leidenschaft für den Beruf stehe für sie doch ihr Privatleben an erster Stelle. Vor allem ihre dreieinhalbjährige Tochter: Nicht zuletzt ihretwegen zog die Familie nach München, beschränkt in der nächsten Saison ihre Auftritte weitgehend auf die neue Wahlheimat sowie New York. Ihre Tochter nimmt sie dabei auf den Konzertreisen mit – zumal die kleine Adriana Anna selbst auch schon künstlerische Zukunftsideen bekundet. „Es ist genau wie bei mir, ich wollte auch Schauspielerin werden, nicht Sängerin“, erinnert sich die Lettin – „das entschied meine Mutter.“ Nun, als Opernsopran lässt sich der Kinderwunsch heute immerhin in Ansätzen ausleben. Schöner sterben, die nächste: Erneut schon im Oktober – als Margarethe in Boitos Mefistofele.