Es ist genau zwei Monate her, dass wir uns mit Musiker und Komponist Malakoff Kowalski in Berlin zum Gespräch verabredet haben. Seither hat sich viel verändert: Das Corona-Virus hat eine Kontaktsperre heraufbeschworen, ein Treffen, wie es der folgende Text beschreibt, wäre derzeit nicht mehr denkbar. Was aber an Aktualität nichts eingebüßt hat, ist Kowalskis neues Album „Onomatopoetika“, das der Ausgangspunkt des Gesprächs war. Für #deinconcertiabend hat sich der Künstler bereit erklärt, am 11. April um 16:30 Uhr live aus seinem Studio dieses Album vorzustellen.
Ein sonniger Tag in Berlin. Draußen auf der Friedrichstraße herrscht Trubel, Einheimische und Touristen schieben sich an den Prachtbauten der Hauptstadt entlang. Drinnen: gedämpftes Licht, leise Gespräche, gedeckte Farben, Samt. Die Tischnummer war in der Email genau vermerkt. Malakoff Kowalski tritt auf. Schmal, ernst, mit dunklem Mantel und akkurat um den Hals drapiertem Schal, auf dem Kopf eine Prinz-Heinrich-Mütze, schwarze Tasche. Er versinkt im gut eingesessenen Plüsch der Lobbysofas eines bekannten Grand Hotels, die Mütze bleibt nach dem Ablegen als einziges Accessoire erhalten.
Kowalski entspricht in seiner von ihm selbst so benannten „Uniform“ aus Mütze, weißem Hemd, schwarzer Hose und ebensolchen Stiefeln dem Bild eines charmant-schrulligen Berliner Hipster-Künstlers. Und auch die Art, wie er von sich selbst erzählt, malt dieses Bild: Er sei ein nachts faustisch zum Exzess neigender Musiker, dessen bekanntester Hit ein fröhlicher, unbeschwerter Lovesong war, der Soundtrack zu einem Film, der nie gedreht wurde. Tagsüber vergräbt er sich ins Studio, hört Musik, vor allem Klavieraufnahmen der 1960er-Jahre. Die Aufnahmen der nachfolgenden Dekaden kann er nicht leiden, zu hart und grell sei der Klang. Er nimmt sich die Zeit und mischt Platten, die ihm gefallen, nach seinem eigenen Klangideal neu. Meistens träumt er von einer Welt, in der den Menschen noch mehr am Miteinander gelegen war und man nicht so nachlässig mit sich selbst und anderen umging. Ihm ist vieles zu viel in der heutigen Zeit, nur wenige Orte kann er wirklich ertragen, darunter besagte Hotel-lobby. Wenn er spricht, tut er das bedacht, mit ruhiger Stimme, stets im Blickkontakt mit seinem Gegenüber. Er denkt viel nach, macht Pausen, gestikuliert wenig. Nichts würde darauf hindeuten, dass diese Ruhe nur Fassade ist.
Denn Malakoff Kowalski gehört zu jenen Musikern, die nur auf den ersten Blick etwas seltsam inszeniert erscheinen. „Das Wort ,Pianist‘ trifft auf mich nicht zu. Ich spiele und schreibe auf dem Klavier“, sagt er über sich selbst. Und was er schreibt, ist so eigenwillig wie sein Auftreten. Miniaturen, zarte musikalische Gebilde, die den Hörer fesseln, nicht loslassen wollen. Der erste Höreindruck täuscht hier genauso wie der erste Eindruck des Künstlers: Vorschnell möchte man seine Musik in Schubladen stecken. „Easy Listening“, „Fahrstuhlmusik“, „Musik zum Entspannen“, „New Classics“. Aber während man diese Schubladen sonst schnell schließen würde, merkt man einige Sekunden später, wie falsch doch die erste Einschätzung dieser Musik war. Denn was Kowalskis kleinformatige Stücke ausmacht, sind die unerwarteten Wendungen, die einen zum Zuhören zwingen. Entspannen funktioniert hier nicht. Zu sehr spiegelt sich die innere Zerrissenheit des Komponisten in seinen Stücken wider. Für Kowalski hat das Komponieren seiner Klavierminiaturen weniger mit Klarheit, sondern immer etwas mit Spielen und auch Improvisieren zu tun: „Als Kind habe ich mich am allerliebsten versteckt und dann Leute erschreckt. Diese kindliche Naivität, Dinge zu sagen, die dein Gegenüber nicht erwartet, einem Impuls zu folgen: Das ist meine Idee von Musik.“
Malakoff Kowalski: Am Anfang waren Spielerei, Spaß und Unsinn
Der Weg zu dieser Musik war kein geradliniger. Malakoff Kowalski wird als Kind iranischer Flüchtlinge in Amerika geboren, wächst später in Hamburg auf. Das Gefühl der Entwurzelung und Heimatlosigkeit ist in der Familie stets präsent. Kowalski fühlt sich mal als Perser, mal als Amerikaner, mal als Deutscher. Seine Identität sieht er aber in der Abgrenzung. Der Vater stirbt früh, die Mutter ist Pianistin, studierte bei einer Schülerin von Cortot. „Meine Eltern haben zu Hause immer nur recht konservative, klassische Musik gehört, aus dieser Welt komme ich eigentlich. Dann wollte ich Gitarre spielen, hatte eine Band, wir bekamen einen Plattenvertrag, fingen an, mit dem Computer Popmusik zu machen. Das hat alles Spaß gemacht, war aber auch völliger Unsinn, wenn ich jetzt zurückblicke. Das war nur Spielerei für mich.“
Seinen Stil fand Kowalski erst später in der Zusammenarbeit mit Filmregisseur Klaus Lemke. Die Reduktion des Instrumentariums auf das Klavier brachte den inneren Durchbruch: „Ich merkte, dass dadurch eine ganz eigene Form von Ästhetik und Arrangement entsteht. Mir wurde das erst richtig bewusst, als meine damalige Freundin die Stücke, die sie nur einmal gehört hatte, als ich sie am Klavier skizzierte, gleich beim zweiten Hören wiedererkannt hat. Dieses Erlebnis habe ich bis heute immer wieder.“ Kowalski erklärt, dass die Wirkung seiner Kompositionen mit der auf das Nötigste reduzierten Form zu tun hat: „Wenn etwas so zusammengestrichen, so runtergekürzt ist, dass man es pfeifen kann, während man die Straße runtergeht, dann hat man den Kern der Musik freigelegt. Und dieser Kern, der eigentlich nur Ausgangspunkt war, ist dann der Mittelpunkt geworden.“
Doch so schlicht Kowalskis Kompositionen klingen, so kompliziert ist die Welt, die sich in ihnen verbirgt. Ob es nun unaufgelöste harmonische Wendungen sind oder Musikzitate, die wie alte Freunde von der anderen Straßenseite winken, wie Kowalski es beschreibt – auf wie vielen Ebenen sich seine Musik abspielt, bleibt unklar. „Alles, was in meinem Leben unausgefüllt ist, geht in meine Musik hinein. Vielleicht ist sie deshalb auch so emotional aufgeladen“, erklärt der Musiker. Nicht ohne Grund stehen dem Wahlberliner denn auch die großen Romantiker sehr nah: Kowalski zitiert Brahms’ Motto „Frei, aber einsam“, erzählt von den Qualen, die seiner Meinung nach jeder Komponist in sich trägt und die der Nährboden für seine eigene Kunst sind. Hinter seinen dunklen Augen herrsche Wirrwarr, Durcheinander, Chaos, sagt er und fügt hinzu: „Es gibt bei mir keine gesunde Mitte. Das ist für mein Wohlbefinden zermürbend, aber für die Musik absolut erforderlich. Ich bin die ganze Zeit am Anschlag – und wenn man das in meiner Musik hört, freut mich das. Am Ende führt alles darauf hinaus, dass etwas entsteht, das ein eigenes Leben hat und losgelöst ist von dem Menschen, der es gemacht hat.“
Hören Sie Malakoff Kowalski:
#deinconcertiabend
Sa. 11.04.2020, 16:30 Uhr
Malakoff Kowalski (Klavier)
Onomatopoetika
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