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Porträt Marin Alsop

Das Ziel stets vor Augen

Von Kindesbeinen an wollte Marin Alsop Dirigentin werden. Der Traum wurde wahr – allen Widerständen 
und Zweifeln zum Trotz.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

„Oh man, it’s a girl!“, murmelten die Männer im Orchester, als beim Meisterkurs in Tanglewood Anfang der Achtzigerjahre eine junge Frau im Batikhemd und Kurzhaarfrisur an das Pult ging und übernahm. Nur einer im Publikum schwieg, hatte die Augen geschlossen und hörte zu. Es war Leonard Bernstein. Nach der Probe offenbarte er ihr, er könne nicht sagen, ob da eine Frau dirigiert hatte oder nicht. Ungalant hätte Marin Alsop das finden können, doch für sie war es das größte Kompliment.

Bereits mit neun Jahren hatte sie zwei Poster in ihrem Zimmer in New York gehängt: eines von den Beatles. Und ein noch viel größeres von Bernstein. Kurz zuvor hatte sie ihn in einem Young People’s Concert des New York Philharmonic erlebt. „Ich sah diesen Typen herauskommen und er fing an, mit dem Publikum zu reden. Und er erzählte, wie aufgeregt er bei Musik sei. Als er dann dirigierte, sprang er herum und war irgendwie verrückt“. Das wolle sie auch, sagte sie ihren Eltern, die begeistert reagierten. Schließlich bestimmte die Musik ohnehin das Familienleben. Der Vater war Konzertmeister im Orchester des New York City Ballet, die Mutter Cellistin. Und Marin spielte Geige. Sogar „unser Hund jaulte, wenn mein Vater zu Beginn von Bartóks sechstem Quartett das Bratschensolo spielte“.

Beim vierten Anlauf klappte es

Der Gang zu den Musikinstitutionen war für die zwanzigjährige New Yorkerin geografisch nicht weit: da die weltberühmte Juilliard School, und gut hundert Meter entfernt davon die Orchestergräben der New Yorker Philharmoniker und der Met. Und doch war der Weg steinig. Sie schaffte es in die Endauswahl der Dirigentenklasse, wurde dennoch nicht angenommen. Und auch bei Bernsteins Talentschmiede Tanglewood klappte es erst beim vierten Anlauf. Um die Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, spielte sie in der Jazz Band String Fever sogar mit Charlie Parker und Duke Ellington. Um mehr Praxis als Dirigentin zu gewinnen, gründete sie 1983 das Kammerorchester Concordia.

Marin Alsop
Marin Alsop © Grant Leighton

1988 war es dann endlich soweit. Bernstein feierte seinen 70. Geburtstag, Fernsehteams filmten ihn bei der Arbeit in Tanglewood mit seiner Dirigentenklasse, und Alsop hatte ihren ersten großen Auftritt. Nun wurde sie endlich wahrgenommen. Jeder konnte sehen, was Bernstein von ihr hielt. „Er übertraf alle meine Erwartungen. Er war großzügig, liebevoll, fürsorglich. Die wertvollste Erkenntnis, die er mir gab: Jedes Stück Musik habe seine Geschichte, und die müsse man als Dirigent finden. Man müsse von jeder Note in einer Sinfonie sagen können, weshalb sie dort steht.“ Allerdings hat sie auch ihre Geige immer dabei, denn neben der Analyse und dem Dirigat bleibe es wichtig, das Musizieren nicht zu vergessen. „Wenn ich spiele, habe ich wieder unmittelbar das Gefühl dafür, wie der Ton gemacht wird, dann merkt man, wie dankbar man als Dirigent dem Orchester sein sollte.“

Als sie für die Chefposition nominiert wurde, waren 90 Prozent der Musiker gegen sie

Manchmal, räumt sie ein, sei die männliche Dominanz einschüchternd gewesen. In solchen Momenten dachte sie an Bernstein, der ihr stets gesagt hatte, „nichts darauf zu geben, was irgendjemand über mich sagt, sondern frei zu sein“. Als sie 2005 für die Chefposition am Baltimore Symphony Orchestra nominiert wurde, waren 90 Prozent der Musiker gegen sie. Erst nachdem sie ihre Pläne vorlegte, änderte sich die Stimmung. Heute können sie nicht leugnen, dass sie sich unter Alsops Leitung verbessert haben.

„Wenn man in einen Job geht, um populär zu sein, ist das der falsche Grund“, sagt sie. „Ich möchte eher respektiert statt gemocht werden“. Sie sei bereits als Kind immer sehr „bossy“ gewesen, versucht aber, diese Eigenschaft am Pult vor dem Orchester zu unterdrücken. Sie weiß: „Wenn ein Mann sehr stark und intensiv ist, heißt es: wunderbar, stark, Macho. Wenn eine Frau sehr intensiv ist, gilt das als bedrohlich“. Unlängst wurde ihr Vertrag in Baltimore verlängert, seit 2012 führt sie das São Paulo Symphony Orchestra, ab 2019 das Radio-Symphonieorchester Wien. „Es gibt keinen logischen Grund, warum Frauen nicht dirigieren können“, sagt sie. „Der Taktstock wiegt kaum mehr als 25 Gramm. Man braucht keine übermenschliche Kraft. Nur eine musikalische Vision.“

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