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Porträt Mario Schröder

Über den Tellerrand hinaus

Ob als Tänzer oder Choreograf: Für Mario Schröder bestand nie eine Trennung zwischen klassischem und modernem Tanz.

vonDagmar Ellen Fischer,

„Was ist Ballett?“, fragte der zehnjährige Mario Schröder seine Mutter, als sie ihm vorschlug, die Aufnahmeprüfung an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden zu machen. Sie war auf der Suche nach einer Alternative zum Fußball für ihren bewegungsbegeisterten Sohn. „So was Ähnliches wie das, was Charlie Chaplin macht“, antwortete sie dem Jungen, der sich seit geraumer Zeit für den Stummfilmstar begeisterte. Das reichte dem kleinen Mario als Erklärung: 1975 fuhr er aus dem ländlichen Finsterwalde in die Großstadt, bestand die Prüfung und begann noch im selben Jahr die Ausbildung zum Tänzer. Die besondere Doppel-Ausrichtung der Palucca-Schule mit klassischem und modernem Tanz kam der Begabung Mario Schröders sehr entgegen: Nie empfand er die beiden Stile als (unvereinbare) Gegensätze, weder als Schüler noch als Tänzer, erst recht nicht als Choreograf.

Seine erfolgreiche Bühnen­karriere begann unmittelbar nach der Ausbildung 1983 mit einem Engagement beim Leipziger Ballett, dem er schon bald als Solist und wenig später als Erster Solist angehörte. Ein Schlüsselerlebnis ließ den jungen Tänzer innehalten: 1989 gehörte Mario Schröder zu den Ersten, die an der Leipziger Nikolaikirche demonstrieren. Einmal entkam er nur knapp einer Verhaftung durch die Stasi, floh ins Theater und sollte kurz darauf in der Generalprobe von „Dornröschen“ tanzen. Welchen Sinn das Ballett habe, wenn die Polizei gerade Menschen durch die Straßen unserer Stadt jage, fragte er sich und seine Kollegen, die ihn überrascht anstarrten.

Mario Schröder: Vom Tänzer zum Ballettdirektor

Mario Schröders „Chaplin“ mit dem Leipziger Ballett
Mario Schröders „Chaplin“ mit dem Leipziger Ballett

Seither hat der Tanzkünstler nicht aufgehört, über den Tellerrand seiner Kunst zu schauen. Uwe Scholz, Ballettdirektor in Leipzig ab 1991, war auf dieser Ebene für ihn mehr als ein Chef, nämlich ein Freund, mit dem er philosophische Gedanken teilen konnte. 16 Jahre lang gehörte Mario Schröder zum Leipziger Ballett. Fünf Jahre pendelte er in diesem Zeitraum zwischen Sachsen und Berlin, um an der dortigen Hochschule Ernst Busch ein Choreografie-Studium zu absolvieren. Dieser Abschluss, sein Talent und die langjährige Bühnen­erfahrung öffneten ihm nach dem Ende seiner Tänzerkarriere nahtlos die Türen zu einer Laufbahn als Ballettdirektor: ab 1999 zunächst für zwei Spielzeiten am Mainfranken Theater in Würzburg, danach von 2001 bis 2010 in Kiel. Von dort wechselte er 2010 in gleicher Funktion nach Leipzig – ein Nach-Hause-Kommen, wie er es nennt.

Annähernd hundert Choreografien sind inzwischen entstanden, darunter so unterschiedliche Werke wie „Jim Morrison“, „Van Gogh“ und „Othello“. 2019 hatte „Magnificat“ Premiere, in dem Bach, Pergolesi und Live-Musik der indischen Band „Indigo Masala“ den Klangteppich bilden. Ein Klassiker wie „Schwanensee“ steht ebenso auf dem Spielplan wie eine Hommage an das Idol seiner Kindheit: „Chaplin“!

Die nächste Uraufführung heißt „Solitude“. Der Titel lässt erahnen, dass es um ein nuancenreiches Spektrum zwischen unfreiwilliger Isolation und selbstgewählter Einsamkeit geht. Unter der Leitung von Ulf Schirmer, Intendant und GMD in Leipzig, erklingen Kompositionen von Bach, Auszüge aus Galina Ustwolskajas Sinfonie Nr. 5, Antonio Vivaldis „Stabat Mater“ und Musik des lettischen Komponisten Pēteris Vasks, der „einen ganzen Kosmos entstehen lässt“, so Mario Schröder. Was auch immer der Choreograf kreiert, eines liegt ihm am Herzen: die Sensibilisierung von Menschen.

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