Stellen Sie sich bitte keine welken Herren und tremolierenden Damen vor“, lacht Hansjörg Albrecht, wenn er über seinen Münchener Bach-Chor spricht, auch wenn der heuer seinen Sechzigsten feiert. Humor hat der Mann genug. Den braucht er auch. Immer noch wird der Dirigent, Cembalist und Organist, der seit 2005 den Chor leitet, an dem Erfolg seines Vorgängers und Begründers des Chores gemessen: des charismatischen Karl Richter. Richter war es in den 50er und 60er Jahren gelungen, die katholische Wagner- und Strauss-Bastion München als Mekka der Bachpflege zu etablieren. Mehr noch: Unter ihm wurde der Chor zum Kulturbotschafter Deutschlands. Zeitzeugen berichten von spektakulären Richter-Aufführungen; von Studenten, die in Moskau 1968 über das Dach des Konservatoriums kletterten, um in den überfüllten Konzertsaal zu gelangen, in dem Richter die Johannespassion aufführte. Und von älteren Menschen im Saal, die eifrig die Bibelworte mitschrieben, obwohl dies in der damaligen Sowjetunion verboten war. Richters überraschender Tod 1981 aber beendete diesen Boom abrupt – auch wenn der Chor sich nicht auflöste.
Frischer Wind: moderne Komponisten im Programm
Der Kalte Krieg ist vorbei, und auch in München „muss man sich mit Bach nicht mehr die Zähne ausbeißen“, wie es der Sänger Peter Schreier einmal auf den Punkt brachte. Heute gilt es eher, sich auf dem globalisierten Markt, bzw. im Kultur-Überangebot Münchens, zu behaupten. Schwer genug, das weiß Hansjörg Albrecht und meint dennoch fröhlich: „Freue dich über das, was war, und blick nach vorn und freue dich auf das, was kommt.“ Auch Albrecht stammt wie Karl Richter aus Sachsen und wuchs in der musikalischen Tradition des Dresdner Kreuzchors auf. Mit Richters spätromantischem Stil und „subjektivistischem Expressivo“, wie es ein Kritiker einmal beschrieb, kann Albrecht sich nicht unbedingt identifizieren; auch wenn er einräumt, dass manche alte Aufnahme ihn nicht unberührt lässt. Dennoch zieht er die historische Aufführungspraxis vor. Und auch im Repertoire geht Albrecht andere Wege. Während für Richter Bach sein ein und alles war, strebt Albrecht einen „Bach modern“ an, einen Bach aus der Sicht der heutigen Generation. Werke von Mahler, Poulenc, Bernstein, Pärt oder Enjott Schneider hat er bereits aufgeführt.
Getragen vom Engagement der Mitglieder
Diese Projekte sind für ein „frei auf dem Markt“ schwebendes Ensemble ohne nennenswerte Förderung nur dank des bürgerlichen Engagements möglich. „Bankiers wie Hermann Josef Abs, der ein großer Förderer der Künste war, gibt es heute leider nicht mehr“, beklagt Albrecht und verweist nicht ohne Stolz darauf, dass die etwa 250 Mitglieder des Vereins der Freunde des Münchener Bach-Chores über eine Million Euro zusammengetragen haben, für ein Ensemble, „das eigentlich aus Laien“ besteht, doch wie ein Profiensemble klingt. Er freut sich, dass sich „immer noch Leute finden, die bereit sind, sich zweimal in der Woche bei den Proben knechten zu lassen“. Allein aus Freude am gemeinsamen Singen und an der Musik.